Reservierte Idylle

LAUBENPIEPER Das Wohnen in einer Kleingartensiedlung ist verboten. Viele versuchen, sich darüber hinwegzusetzen: Weil es billig ist und und die Gärten oft attraktiv liegen

Der Ausbau wurde zu DDR-Zeiten unterstützt – und so der Rückzug ins Private gefördert

VON JOACHIM GÖRES

Zum Silbersee 19, 29229 Celle. Die Adresse von Wolfgang Koschack hört sich idyllisch an und klingt ein wenig nach Abenteuer. Der Straßenname hält, was er verspricht – Koschack wohnt tatsächlich am Silbersee, wie rund weitere 50 Menschen. Sie alle sind Dauercamper und leben das ganze Jahr über auf einem 11.000 Quadratmeter großen Campingplatz. Auch im Winter bei tiefstem Frost.

Für den arbeitslosen Koschack ist dies auch eine Frage des Geldes: Bei mindestens sechs Monaten Pachtdauer kostet der Quadratmeter inklusive Wasser und Mülltonne nur 7,50 Euro im Monat. Dazu kommt für den Stromzähler eine Jahresgrundgebühr von 20,50 Euro. Geheizt und gekocht wird mit Gas aus der Gasflasche. Toilette und Dusche gibt es in einem Extra-Gebäude mitten auf dem Campinggelände, wo sich auch ein Kiosk für die nötigsten Einkäufe befindet.

„Hier muss ich nicht wie in einem Mietshaus auf Nachbarn Rücksicht nehmen, und wenn ich vor den Wohnwagen trete, habe ich den direkten Blick auf den See“, zählt der 61-Jährige einige Vorteile seiner mobilen acht Quadratmeter großen Unterkunft auf, ohne zu verschweigen: „Die Nächte in diesem kalten Winter waren echt hart.“

Einige Kilometer weiter liegt der Kleingartenverein Kiebitzsee. Nach einem See hält man hier vergebens Ausschau und auch in einem anderen wichtigen Punkt unterscheidet sich die Kleingartensiedlung Kiebitzsee vom Campingpark Silbersee: Dauerhaftes Wohnen ist hier verboten. „Es gibt klare Gesetze, wonach in Kleingärten niemand wohnen darf“, sagt Joachim Roemer, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Niedersächsischer Gartenfreunde. Bei den rund 60.000 Mitgliedern komme es immer mal wieder vor, dass jemand in seiner Laube lebe. In der Praxis spielten solche Fälle keine große Rolle.

Roemer weiß, dass dies früher anders war. Er ist selbst in einer Kleingartenkolonie in Hamburg groß geworden, in der viele nach dem Krieg gebaute Einfamilienhäuser standen. Nur das Vereinshaus in der Mitte erinnert an die einstige Kleingartenanlage.

In allen Ballungsräumen entstanden wegen der Wohnungsnot nach ’45 viele solcher behelfsmäßigen Unterkünfte. „Die wurden später entweder platt gemacht oder ihr rechtlicher Status wurde legalisiert“, sagt Roemer. Dann sei die Fläche aber nicht mehr als Kleingartensiedlung ausgewiesen worden.

Laut Bundeskleingartengesetz darf die Grundfläche einer Laube maximal 24 Quadratmeter betragen. Größere Lauben genießen dann Bestandsschutz, wenn sie vor Inkrafttreten dieses Gesetzes errichtet wurden. In den Augen Roemers bieten aber auch größere Lauben keine Bedingungen, die das permanente Wohnen erlauben: „Die Gartenhäuser sind in der Regel nicht winterfest, ein Schornstein ist meist nicht möglich, für eine Elektroheizung fehlen entsprechende Anschlüsse und Gasflaschen sind teuer.“

Die soziale Kontrolle in den meist zwischen 100 und 200 Gärten zählenden Kolonien verhindere, dass sich jemand niederlasse. „Einfach Bewohner zu tolerieren, können sich die Vorstände nicht erlauben, denn sie sind ja nur Pächter und die Kommunen als Eigentümer haben kein Interesse an dauerhaften Gartenbewohnern“, sagt Roemer.

Rechtlich gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Wenn es um die Aufstellung eines Gartenhauses geht, braucht man in Flensburg eine Baugenehmigung ab 30 Kubikmetern Raumvolumen. In Schwerin gilt dieses Maß, wenn man das Gartenhaus im Garten seines Einfamilienhauses aufstellt – wenn das Gartenhaus aber im eigenen Schrebergarten stehen soll, ist eine Genehmigung schon ab 20 Kubikmetern vorgeschrieben.

Überhaupt ist in den Kleingärten von Mecklenburg-Vorpommern manches anders als in den anderen norddeutschen Bundesländern. Das hängt mit der ostdeutschen Datschentradition zusammen. Die sind im Schnitt mehr als 30 Quadratmeter groß und damit deutlich geräumiger als die Lauben im Westen und verfügen meist über eine gute Infrastruktur mit Wasser, Strom sowie Toilette. Der Ausbau wurde zu DDR-Zeiten unterstützt – und so der Rückzug ins Private gefördert. „Wenn heute mal jemand nach einer Feier nicht mehr fahren kann und hier übernachtet, dann wird niemand etwas sagen“, vermutet Peter Heinemann, Vorsitzender des Landesverbandes der Gartenfreunde Mecklenburg und Vorpommern. Natürlich sei es auch in den ostdeutschen Kleingärten verboten, dort auf Dauer zu wohnen. Doch nicht überall hielten sich die Pächter daran.

Vor allem in den touristisch attraktivsten Gebieten werden die Holzhäuser gerne zum günstigen Übernachten genutzt und die Gartenarbeit spielt immer seltener eine Rolle. „Gegen einen Kleingartenverein auf Rügen läuft ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, in dem ihm die Gemeinnützigkeit wegen der dauerhaften Wohnnutzung aberkannt werden soll“, erzählt Heinemann. Das sei kaum noch zu verhindern.

„Wenn man gegen die Regeln verstößt, muss man die Konsequenzen tragen“, findet Heinemann. Wird die Gemeinnützigkeit aberkannt, ist das für die Pächter teuer. Mancherorts müssen sie eine Zweitwohnsteuer bezahlen, anderswo eine Kurtaxe und überall GEZ-Gebühren – davon sind die echten Kleingärtner befreit.