ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Sehr geehrter Herr Minkmar,

Im Feuilleton der FAZ vom letzten Samstag schrieben Sie einen langen offenen Brief an Verena Becker. Sie solle am kommenden Montag ihre Chance vor Gericht nutzen und uns ihre ganze Geschichte zum Mordfall Buback erzählen. Hübsch angerichtet, Ihr Brief, Herr Minkmar. Doch was deutet darauf hin, dass sich jemand 35 Jahre später und nach überstandener Haft nun zur eigenen Rolle wahrhaftig bekennt, sich gar selbst belastet?

Bislang gilt Becker als eine der dubiosesten Figuren der Roten Armee Fraktion. Im Jahr 1952 geboren, stieß sie über die Bewegung 2.Juni 1975 zur RAF dazu. Am 3. Mai 1977 wurde sie nach einer Schießerei bei Singen gestellt. Wegen versuchten Polizistenmords erhielt sie eine lebenslange Haftstrafe. Bundespräsident von Weizsäcker begnadigte sie 1989.

Bei Verena Becker wurde 1977 die Tatwaffe gefunden, mit der am 7. April 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen wurde. Doch für den Mord an Buback und dessen Begleiter wurden die drei RAF-Mitglieder Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt verurteilt. Knut Folkerts hielt sich ziemlich sicher nicht am Tatort auf. Doch für die westdeutsche Justiz war es wichtiger, RAF-Mitglieder kollektiv abzuurteilen, als einen individuellen Tatnachweis zu erbringen. Beide Seiten bekamen, was sie brauchten: die Justiz ihre Urteile, die RAF den so von außen verstärkten Zusammenhalt.

In diesen Zusammenhang platzte Bubacks Sohn Michael mit seinen Nachforschungen, die er 2008 in dem Buch „Der zweite Tod meines Vaters“ zusammenfasste. Ebenso wie Wolfgang Kraushaar („Verena Becker und der Verfassungsschutz“, 2010) hält er es für möglich, dass die Ermittlungen im Falle seines Vaters manipuliert wurden, um eine prominente Quelle in der RAF zu decken. Diese, Verena Becker, könne die tatsächliche Todesschützin gewesen sein.

Warum nun, lieber Nils Minkmar, ausgerechnet die Aussage von Verena Becker am Montag Licht ins Dunkel der historischen Vorgänge bringen soll, scheint wenig plausibel. Würde sie sich selbst outen, würde man ihr wohl vieles glauben. Würde sie aber mal wieder mit dem Finger auf andere zeigen, bräuchte es schon sehr starke Beweise. Die Mittel der Strafjustiz scheinen doch eher ungeeignet, um die noch offenen Fragen in der Geschichte der RAF zu klären.

 Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat