Azubi am Gemüsestand

Nur wenige türkische Kleinunternehmer bieten Lehrstellen an. Das Essener Zentrum für Türkeistudien wirbt jetzt für die Einstellung junger Mitarbeiter. „Eine Investition in die Zukunft“

Um drei Uhr morgens ist Gülay Kizilocak aufgestanden, um pünktlich auf dem Großmarkt in Dortmund zu stehen. Zwischen Gemüse-, Fleisch- und Obstständen hat sie ihren kleinen Stand aufgebaut, über dem ein großes Plakat prangt: „Grünes Licht für Ausbildung“. Darunter steht die türkische Übersetzung. So mancher Lebensmittelhändler guckt erstaunt. Doch bevor er sich davonschleichen kann, hat die 40 Jahre alte Türkin ihm schon eine Informationsbroschüre in die Hand gedrückt.

„Jeden Türken mit eigenem Betrieb frage ich, ob er einen Lehrling ausbildet“, erzählt Kizilocak. Sie wirbt für die Einstellung junger Mitarbeiter, die „immer eine Investition in die Zukunft sind“. Seit mehr als zwei Jahren ist die Mitarbeiterin des Essener Zentrums für Türkeistudien im Ruhrgebiet unterwegs, um einen von Politik und Öffentlichkeit wenig beachteten Wirtschaftszweig in die Pflicht zu nehmen: die Unternehmen von Einwanderern. Bundesweit gibt es davon 286.000, 61.300 befinden sich in türkischer Hand. Aber nur zehn Prozent von ihnen bilden aus.

„Hier gibt es noch ein sehr großes Potenzial, das wir erschließen möchten“, sagt Kizilocak. Seit Oktober 2002 leitet die Türkin das Ausbildungsprojekt des Zentrums für Türkeistudien. Bisher hat sie mit ihrem dreiköpfigen Team schon für 410 neue Ausbildungsplätze gesorgt. Bis zum Ende des Projekts im September diesen Jahres werden es mindestens 500 sein, schätzt Kizilocak. Mit der Kampagne „Grünes Licht für Ausbildung“ spricht ihr Team Betriebe, Jugendliche und Eltern jetzt gezielt auf Großmärkten, in Schulen und Moscheen an.

„Es gibt es ein großes Informationsdefizit über die Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland“, sagt die Projektleiterin. So bildeten türkische Restaurants oft keine Köche aus, weil „es in der türkischen Küche keine flambierten Gerichte gibt“, wie es die Ausbildungsordnung verlange. Dies sei aber kein Grund, auf Lehrlinge zu verzichten, betont die gelernte Betriebswirtin. Ein Teil der Lehre könne auch in Kooperation mit deutschen Restaurants absolviert werden.

Und manche türkischen Kleinunternehmer schrecken wegen des Zeitaufwands und wegen ihrer häufig nicht perfekten Deutschkenntnisse vor Ausbilderkursen zurück. Der Oberhausener Makler und Reiseunternehmer Köksal Öztürk gehört zu den wenigen türkischen Chefs, die schon zu Beginn ihrer Selbstständigkeit einen solchen Lehrgang besuchten.

Vor sechs Jahren stellte er seinen ersten Lehrling an. Als er 2004 sein Reisebüro, die „Otoman Tours GmbH“, gründete, ließ er sich von den Mitarbeitern des Essener Zentrums für Türkeistudien beraten und überzeugen, gleich zwei Auszubildende zu beschäftigen. „Ein großer Schritt in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten,“ meint er.

Doch der 35 Jahre alte Unternehmer hatte Glück. Das Geschäft mit Reisen und Immobilien in der Türkei läuft gut. Seine beiden Auszubildenden will er im nächsten Jahr übernehmen. Für Sibil Sagir ein unverhoffter Glücksfall. „Ich arbeite hier gerne“, sagt die 21-jährige Deutsch-Türkin aus Duisburg. Sie führt ihre Anstellung auch auf ihren guten Realschulabschluss zurück.

„Ohne Lehrstelle wäre ich einfach weiter zur Schule gegangen und hätte studiert“, erzählt sie. In ihrem deutsch-türkischen Freundeskreis lernten mittlerweile alle einen qualifizierten Beruf. „Keinem von uns sind bei der Bewerbung irgendwelche Vorurteile begegnet“, sagt Sagir.

Gülay Kizilocak hingegen kennt andere Geschichten. „Obwohl viele junge Türken gute schulische Leistungen vorweisen können, bekommen sie keine Lehrstelle“, erzählt sie. Bei gleicher Qualifikation würden deutsche Bewerber bevorzugt.

SABINE DAMASCHKE (EPD)