Lehrerverband: Klassenfahrten in Gefahr

Im kommenden Schuljahr gibt es für arme Schüler letztmals Geld für Klassenfahrten. Danach müssen alle Empfänger von Arbeitslosengeld II selbst zahlen. Lehrerverbände befürchten soziale und pädagogische Ungleichheit

DORTMUND taz ■ Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in Nordrhein-Westfalen, Udo Beckmann, befürchtet, dass einige Schulen in Zukunft keine Klassenfahrten mehr durchführen können. „Was macht es für einen Sinn, eine Fahrt zu planen, wenn ich nachher feststelle, dass nur zwei Drittel meiner Schüler mitfahren können?“, fragt er. Dann könne man die Klassenfahrten auch gleich streichen. „Denn dadurch fällt der pädagogische Wert komplett weg“, sagt Beckmann. Denn innerhalb der Fahrten trainierten die Schüler auch ihre soziale Kompetenz und überprüften ihre Lernziele.

Schon in den vergangenen Jahren sei zu beobachten gewesen, dass immer weniger Schüler aus finanziellen Gründen an den Fahrten teilnehmen konnten. Zukünftig werden für Arbeitslosengeld-II-Empfänger alle Zuschüsse zu Klassenfahrten gestrichen. Im kommenden Schuljahr werden nur noch die Schüler Geld für die Fahrten erhalten, die im vergangenen Jahr Sozialhilfe erhalten haben. So ist die Maßgabe „Vertrauensschutz“ in der Übergangsphase der Hartz IV Gesetzgebung.

Gewerkschaften und Lehrerverbände fürchten, dass nach den negativen sozialen Auswirkungen von Hartz IV pädagogische hinzukommen. „Die Kinder werden stigmatisiert“, sagt Beckmann. Denn während einige mit der Klasse unterwegs sind, müssten die Ärmeren zu Hause unterrichtet werden. Beckmann wünscht sich, dass für die Schülerinnen und Schüler die Kommunen einspringen. „Sie haben eine gewisse soziale Verpflichtung, das gehört ja auch zur Erhaltung des Gemeinwohls“, sagt der VBE-Landeschef, der in Nordrhein-Westfalen etwa 21.000 Lehrer und Lehrerinnen vertritt.

Die Kommunen haben schon abgesagt. Sie sehen sich finanziell nicht dazu in der Lage, zusätzliche Zuschüsse zu gewähren, sagt Martin Lehrer, Sprecher des Städte und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen.

Mit der Ankündigung der schwarz-gelben Regierungskoalition, künftig die Schulbezirke abschaffen zu wollen, könnte es zukünftig zwei Schulen geben: Eine für Schüler, die sich Klassenfahrten noch leisten können, und eine für Arme. Denn nach Aufhebung der Schulbezirke könnten Eltern für ihre Kinder eine Schule frei wählen.

„Die politische Konstellation, die jetzt an der Macht ist, fördert damit den Schultourismus“, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW, Norbert Müller. Sozial besser gestellte würden ihre Kinder an die Schulen ihrer Wahl schicken, andere blieben in den ärmeren Stadtteilen. Klassenfahrten seien an diesen Schulen dann gar nicht mehr zu organisieren, sagt Müller. Das sei eine Situation, die absolut bedrückend sei: „Wir sind für diese Kinder verantwortlich, wir planen die Fahrten und dann stellen wir fest: Da geht nix.“

Müller fordert, auch die Schülerfahrten müssten im Arbeitslosengeld II berücksichtigt werden: „Ansonsten würde ich gerne wissen, wer die politische Verantwortung für die wegfallenden Klassenfahrten übernimmt.“ ELMAR KOK