Black out bei den Kitas

Wird der Besuch von Kindertagesstätten in Niedersachsen zum Luxus? Opposition fürchtet, dass bis zu 10.000 Kinder zusätzlich Beiträge zahlen müssen. In Schleswig-Holstein herrscht dagegen familienpolitisch Sonnenschein

Laut Studien kommen 70 Prozent der Kinder, die nicht in eine Kita gehen, aus sozial schwachen Familien

Heide Tremel von der Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen schwanen Protest- und Klagewellen, Petra von Bargen von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) fürchtet, dass ab dem 1. August, wenn das Kita-Jahr beginnt, „etliche Einrichtungen Plätze frei haben“. Der Grund: Angeblich wollen CDU und FDP in Niedersachsen die Einkommensgrenze, ab der Eltern Beiträge für ihre Jüngsten zahlen müssen, deftig anheben. Die Kitas werden so für viele zum Luxus, fürchtet auch die SPD.

„Auf kaltem Wege“ habe die Koalition die Kita-Keule im Ausschuss durchsetzen wollen – auch noch versteckt in einem anderem Gesetz, ärgert sich die SPD-Bildungsexpertin Silva Seeler: „Allein schon das Verfahren ist ein Affront.“ Die Einkommensgrenze, ab der Eltern künftig von Kita-Gebühren befreit werden, soll bei nur noch 573 Euro monatlich liegen. Bislang sind es 690 Euro. Nach Schätzungen der SPD bedeutet dies für betroffene Eltern eine Mehrbelastung etwa 1.000 Euro im Jahr, bis zu 10.000 Kinder im Land könnten betroffen sein. Die Kita-Kosten variieren in Niedersachsen stark: „In unserer Kita in Buxtehude kostet ein Halbtagsplatz 169 Euro, in Celle nur 83 Euro monatlich“, erläutert Petra von Bargen von der AWO, die in Niedersachsen Träger von 45 Kitas ist.

Das Dauer-Bekenntnis der Landesregierung zu mehr Kinderbetreuung – nichts als „hohles Gerede“, findet Seeler. Laut Studien kommen 70 Prozent der Kinder, die nicht in den Kindergarten gehen, aus sozial schwachen Familien, davon viele mit Migrationshintergrund. Gerade für sie sei frühe Förderung unverzichtbar, meint die Grüne Meta Janssen-Kucz. Das soziale Gewissen der CDU habe wohl einen „Black out“ erlitten.

Die Attackierten halten die Argumentation von links für fadenscheinig: “Niemand wird bei den Kita-Beiträgen schlechter gestellt“, entgegnet der parlamentarische CDU-Geschäftsführer Bernd Althusmann. Tatsächlich senke die Koaltion die Einkommensgrenzen wieder fast genau auf den Satz, der bis vor einem halben Jahr galt. Ein Nullsummenspiel also für alle, weil die neue Regelung erst ab August gegolten hätte.

Bislang ist die Zumutbarkeit für die Kita-Beiträge an die Sozialhilfe gekoppelt – durch eine Umstellung stieg die zulässige Belastungsgrenze Anfang des Jahres um 121 Euro an. Gut für viele Eltern. Allerdings sind die Lebenshaltungskosten nicht in vergleichbarem Maß gestiegen. Und: Für die Kommunen bedeutet die Regelung eine Belastung von bis zu zehn Millionen Euro jährlich. Die wollen CDU und FDP jetzt abgewendet haben.

Auch im Kieler Landtag stand das Thema Kitas gestern auf der Tagesordnung – in Schleswig-Holstein weht der neuen schwarz-roten Landesregierung aber offenbar längst nicht so ein scharfen Wind entgegen wie den Kollegen in Hannover. „Unsere Vorschläge finden sich fast wortwörtlich im Koalitionsvertrag wieder“, freut sich Jürgen Kulp von der Landeselternvertretung der Kitas. Die Landesmittel in Höhe von 60 Millionen Euro pro Jahr sollen in der gesamten Legislaturperiode im hohen Norden konstant bleiben. Nicht nur das begrüßt Kulp. Das gestern im Parlament debattierte Kita-Gesetz sieht sogar erstmals ein Mitspracherecht der Eltern vor. Kulp: „Bis jetzt hat sich die CDU kooperativ verhalten.“

Wie sich die CDU generell die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorstellt, tüftelt derzeit Niedersachsens Sozialministerin Ursula von der Leyen aus. Die Mutter von sieben Kindern, der offenbar ein Platz im Kabinett von Angela Merkel sicher ist, arbeitet derzeit ein Wahlprogramm zum Thema aus, das am 11. Juli in Berlin vorgestellt wird.

Kai Schöneberg