kritisch gesehen: olga grjasnowas roman “der russe ist einer, der birken liebt“ im bremer theater
: Die Welt verursacht bleibende Schmerzen

Mascha ist jung, gebildet und traumatisiert. Weil sie Letzteres gut wegsperren kann, hätte aus „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ auch eine dieser erfolgreichen Integrationsgeschichten mit Happy End werden können, die man hierzulande so liebt. Ist es aber nicht.

Weil die Welt komplizierter ist und unbarmherzig – und Olga Grjasnowas Roman so ist wie die Welt. Überhaupt müsste man die Biografien vorm Integrieren erst mal sortieren: Mascha kam in den 1990er-Jahren als „Kontingentsflüchtling“ aus Aserbaidschan nach Deutschland. Aber als wer? Als Russin? Aserbaidschanerin? Jüdin? Säkulare? Als Fremde? Ihre Freun­d:in­nen sind jedenfalls alles Mögliche: christlich, muslimisch, türkisch, deutsch und/oder jüdisch. Mascha spricht viele Sprachen und will nach den Prüfungen bei der UN als Übersetzerin arbeiten. Und ihre Karrierechancen stehen gar nicht so schlecht. „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ hat 2012 in der Literaturwelt für Aufsehen gesorgt, im Jahr drauf gab es eine erste Bühnenfassung, 2022 eine Verfilmung. Nina Mattenklotz hat das Werk nun fürs Bremer Theater neu dramatisiert. Was als Kammerspiel über die Paarbeziehung von Mascha und Partner Elias beginnt, wächst sich bald ins gesamte Umfeld aus. Sichtbar: Wenn die zwei streiten, quetschen sich mitunter neun Menschen in die Wohnung. Wie Spukgestalten lauern Freund:innen, Eltern und Ex-Partner:innen immer in der Nähe – geben persönlich ihren Senf dazu, spielen traurig Klavier oder rotten sich zum Chor zusammen, der multiperspektivisches Chaos stiftet: Es ist ein vielsagendes Bild, wie Johanna Pfaus aufgeräumte Bühnenlandschaft vom Sozialen, Biografischen und der Historie überrannt wird.

Bravourös gelingt es Mattenklotz, das komplizierte und in sich widersprüchliche Sozialgefüge einer post-migrantischen Lebenswelt zu tranchieren – selbstverständlich im Wissen, dass schon diese begriffliche Klammer eine Zumutung ist.

Jorid Lukaczik navigiert dabei Maschas Rolle zielsicher von einer Lebenskrise in die nächste, kippt aus manischen Phasen in totale Erstarrung und zurück. Eine bemerkenswerte Leistung ist das auch deshalb, weil die Nebenfiguren, an denen sie sich misst, viel handfester entwickelt sind und an der Oberfläche nachvollziehbarere Probleme haben. Manche sterben sogar. Aber darum geht es unterm Strich wohl auch: Dass die Welt Schmerzen verursacht, von denen manche bleiben. Als Stück funktioniert das, weil die Menschen durchweg so greifbar in dieser Schmerzwelt herumirren. Weil die Besetzung so gut ist. Und weil die Regie dem drohenden Chaos klar abgesteckte Räume zur Eskalation lässt.Jan-Paul Koopmann

Vorstellungen am 3., 9. und 17. 5., je 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus