Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang Fuentes
: Gott ist Punk und balanciert mit Marx auf der Slackline

Foto: Foto:

Wir sind mal wieder auf einer Party gelandet, im tiefsten Neukölln. Es ist das Wochenende vor dem taz lab, und deswegen ist die Devise: saufen, tanzen und rauchen. Denn wir wissen, am nächsten Freitag wäre es vernünftiger auszuschlafen. Da müssen wir früh aufstehen, einen Tag später am Samstag. Und dann auch noch arbeiten. Jeder weiß, dass es ratsam wäre, vorher piano zu machen.

„Rate mal, wer nächsten Freitag live in Berlin spielt?“, quatscht mich eine Freundin an. Und spricht von einem Konzert der Band Acht Eimer Hühnerherzen im SO 36. Eine Woche später stehen wir tatsächlich vor dem weltbekannten Punk-Schuppen in der Kreuzberger Oranienstraße.

Es wäre eigentlich an der Zeit, über Ausruhen für morgen nachzudenken. Und ich habe nicht einmal ein Ticket für das ausverkaufte Konzert.

„Pure Vernunft darf niemals siegen“, zitiere ich Tocotronic und habe etwas Bammel, dass irgendeine metaphysische Existenz das vielleicht nicht so sehen könnte und mich ohne Ticket nach Hause schickt. Wir labern fremde Menschen an, die in der Schlange vor dem SO 36 stehen: junge Punx, blond gefärbte Punx, ältere Typen in Lederjacke, Berlin-Menschen um die 30 mit Späti-Bier und Kippe – die Anhängerschaft der Kreuzberger Punkband mit geilem Namen und Wir-sind-Helden-Vibe scheint weitgefächert. Letzten Endes finden wir dann doch jemanden, der eine Konzertkarte übrighat. Sollte es einen Gott geben, ist er sicher Punk, denke ich.

„Mehr Punk als dieser Schuppen jedenfalls“, sage ich ziemlich laut, als wir 7 (!) Euro an der Garderobe latzen müssen. 9 weitere Oironen fürs Bier.

„Wir müssen ja auch von was leben“, sagt die Frau hinter der Theke. „Wird ja alles immer teurer, und die Inflation darf man ja auch nicht vergessen…“

„Na, du kannst ja auch nix für“, sage ich dann besänftigend zu ihr. Und dann denke ich mir, warum eigentlich nicht? Denn wir können ja alle etwas dafür, wenn wir solche Preise mit uns machen lassen. Und will schon fragen, wer denn eigentlich beim Konzert wirklich den Gewinn absahnt.

Aber dann wird es schon laut, und mein Gedanke geht unter in den verzerrten Powerchords und dem wütenden Sprechgesang von Burnout Ostwest, der etwas an Kraftklub erinnert, aber mit mehr Synthesizer.

Das SO 36 ist schon bei der Vorband zum Bersten gefüllt. Die Menge tobt. Zu Recht. Die zwei spießig gekleideten Bremer sind gegen jede Art von Bürgerlichkeit, ob akademisch Lifestyle-links, konservativ oder Nazi. Man spürt ihre Wut durch die Parodie. „Karl Marx putzt hier“ steht auf einem Schild auf der Bühne. „Ein Leben auf der Slackline, ich will nicht wie ihr sein/ Kiffen auf dem Longboard/ Gewalt ist hier die Antwort“, heißt es bei „High sein, frei sein, ich will nicht dabei sein“. Da bin ich sofort dabei!

Wir sind schon hypt und verschwitzt, als endlich der Hauptact kommt. Ein kleines rotes Herz ziert den Banner über der Bühne von Acht Eimer Hühnerherzen. Leichte Bissspuren rechts unten – ein leckeres Hühnerherz eben. Apocalypse Vega trägt ihre obligatorische Sonnenbrille unter dem akkurat geschnittenen Pony. Und Johnny Bottrop hat seine Berliner Schnauze parat. Bei der ständigen Neckerei zwischen den beiden hat man fast das Gefühl, dass gleich ein Konkurrenzkampf ausbricht. Aber dann haut Bene Diktator wieder den Rhythmus in seine Drums, und es geht weiter. Die verstärkten Akustikgitarren klingen punkiger, als sie aussehen. „Mit deiner Wut auf der Straße/ Schlägst du mir mitten ins Gesicht.“ Ja! Wut, Straße, Punk! Wir drängen uns durch und mitten in die Menge und pogen zu jedem Lied.

„Ich brauche Wasser“, keuche ich, als ich dich endlich auf der anderen Seite Tanzfläche wiederfinde. Meine Klamotten sind getränkt von Schweiß, fällt mir erst jetzt auf, und ich weiß gar nicht, ob der nur von mir kommt. Er tropft auch dir von den Haaren und gefühlt auch von der Decke. „Ja, Wasser, bitte.“

Beim Döner nebenan kämpfen wir gegen die Erschöpfung an. Es ist inzwischen eindeutig zu spät, um morgen früh fit und ausgeschlafen zu sein. Die Muskeln schmerzen schon. Es ist einfach geil, gegen die Vernunft zu tanzen, denke ich, schließe meine Augen und schlafe tatsächlich neben dem angebissenen Döner ein.