in fußballland
: Das Problem mit Deutschland

Christoph Biermann über die Schwierigkeit, Anhänger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu sein

Als ich es mal wieder so richtig mit Deutschland versuchte, ging die Sache in die Hose. Aus mir heute nunmehr vage nachvollziehbaren Gründen war ich während der WM 1998 in Frankreich plötzlich von der Idee beseelt, dass es wieder an der Zeit wäre, für die deutsche Mannschaft zu sein. Also fand ich mich rechtzeitig zum Viertelfinale bei Bertis Jungs ein und erlebte in Lyon mit, wie sie beim 0:3 gegen Kroatien achtkantig aus dem Turnier flogen. Es blieb dabei: Deutschland und ich hatten ein Problem.

Dabei hatte alles so angefangen, wie es sich gehört. Während der EM 1972 hatte ich mich als Elfjähriger in Günter Netzer verliebt und sein Bild an meinen Schreibtisch gehängt. Bei der WM ’74 verbrachte ich die deutschen Spiele weitgehend auf den Knien kauernd, weil ich das Gefühl hatte, nur in dieser embryonalen Grundstellung der Spannung standhalten und die Geschicke des deutschen Teams entscheidend zum Guten beeinflussen zu können. Außerdem rauchte ich noch nicht und nestelte daher vor Nervosität an den Fransen des Teppichs vor dem Fernseher.

Zur ordentlichen Biografie eines jungen Bundesrepublikaners der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts gehörte es jedoch wie Zivildienst und selbst gedrehte Zigaretten, mit Deutschland und seinen kickenden Protagonisten zu brechen. Dazu brauchte man sich nicht einmal zu fragen, ob man nach Auschwitz noch „Deutschland vor, noch ein Tor!“ rufen durfte, schließlich wurde im dunklen Zeitalter unter Jupp Derwall so schauderhaft Fußball gespielt, dass man sich leicht von Deutschland lossagen konnte. Ich wandte mich auch keinem vermeintlich besseren Gastland zu, wie das damals üblich war. Bei den einen hieß es Brasilien, Kamerun oder Italien, bei den anderen England, Irland oder Schottland (deutsche Rumänien- oder Norwegenfans habe ich nie getroffen). Ich hatte meinen Klub, ein Land brauchte ich nicht.

Im Laufe der Jahre entspannte sich meine Deutschlandphobie. Den Jubel über den WM-Sieg 1990 sah ich auch nicht als nationalistischen Ausbruch, sondern als Ausdruck einer neuen Feierkultur, auch gegen den EM-Sieg sechs Jahre später in England hatte ich nichts weiter einzuwenden. Albern wurde es erst, als ich mir, wie erwähnt, 1998 ein trotziges Deutschland-Fantum verordnete. Das war auch deshalb Quatsch, weil selbst bis in die Ära Rudi Völler hinein genug alter Mief in den Nationaltrikots steckte. Hier gehörst du nicht hin, war stets die Botschaft.

Dieses Gefühl hat sich eigentlich erst verlaufen, seit Jürgen Klinsmann ordentlich durchgelüftet hat. Zwar ist um ihn mitunter arg viel Sound of Neoliberalismus, aber man kann ihn halt beim Wort nehmen und schauen, ob all die schwungvollen Vorgaben wirklich eingelöst werden oder nicht. Zuletzt hat die deutsche Mannschaft eher Spaß gemacht und damit könnte ich nun eigentlich meinen Frieden schließen.

Doch wie immer man seine Identitätskonstruktion zusammenbastelt, dringend abzuraten ist weiterhin vom Besuch deutscher Länderspiele im Stadion. Verstört wird der Mensch dort zunächst von den Darbietungen der Terrortruppen des Europaparks Rust, die mit ihren grauenhaften, auf Stadionformat gebrachten Musicalhöllen bereits vor dem Anpfiff jede menschliche Regung aus den Hirnen der Stadionbesucher trommeln. Doch erklärt das nicht allein, dass deutsche Länderspiele Versammlungen der Allerblödesten sind. Das internationale Fußballangebot auf dem Rasen wird auf den Rängen mit provinzieller Lethargie bzw. der Forderung gekontert, doch bitte schön unterhalten zu werden. Wird der Deutschlandfan also nicht ruckzuck vom Spiel bespaßt, nickt er daher entweder ein oder wird gleich so maulig, als ob er in der Kneipe aufs Bier warten muss.

So muss man wohl zu dem Schluss kommen, dass die goldene Regel heißt: Deutschland nur vor dem Fernseher. Obwohl da andere Gefahren drohen, also: Ton weg. Und dann noch die Augen … Nee, das war jetzt nur eine Pointe.