Vereint und abgebrannt

So schlimm steht es wirklich um die EU: Jetzt streicht Ratspräsident Jean-Claude Juncker sogar die Geschenke für die EU-Gipfel-Besucher. Dabei sind sie das kollektive Gedächtnis der EU-Großfamilie

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Es war politisch betrachtet die richtige Entscheidung: In einer Zeit, wo Angela Merkel nur noch dienen will, wo Bono nach Brüssel reist, um den Mächtigen ins Gewissen zu reden, kann auch der Sozialdemokrat des Herzens, Jean-Claude Juncker, nicht zurückstehen. Nichts Geringeres als eine „Innovation“ kündigte der amtierende EU-Ratsvorsitzende für dieses Gipfeltreffen in Brüssel an: Die Gastgeschenke – neudeutsch Gipfel-Goodies, in der Diplomatensprache Französisch unnachahmlich verheißungsvoll: Cadeaux de courtoisie – werden abgeschafft. Jene Wundertüten mit dem Emblem der jeweiligen Ratspräsidentschaft darauf, die Gipfelteilnehmer und Journalisten am Ende jedes Ratstreffens zusammen mit Mikrofonen, Computern und Aktentaschen aus den Pressecontainern schleppten.

Für den EU-Wanderzirkus hatten sie den gleichen sentimentalen Wert wie die geschmacksverirrte Liebesgabe von Onkel Paul fürs kollektive Gedächtnis einer Großfamilie. War das nicht im Dezember 2000, unter belgischer Präsidentschaft, als es diesen grauenvollen weißen Gartenzwerg gab? Der hat bei mir nicht mal die Heimreise überlebt. Oder war es die kipplige Espresso-Tasse aus Schweden, die zu Bruch ging – ganz ohne Zutun der Wasserwerfer von Göteborg?

Die meisten Brüsseler Journalistinnen haben die Halstuch-Gaben der Gastgeber in ausgesprochen positiver Erinnerung. Das blaue Tüchlein mit dem irischen Logo sei zauberhaft gewesen, sagt eine Reporterin. Alle Fernsehkolleginnen hätten es sich für Livegespräche umdrapiert, damit der Zuschauer gleich wusste: Es sind die Iren, die derzeit die Amtsgeschäfte führen. Auch das Luxemburger Tüchlein erhält ausgezeichnete Noten, ebenfalls die Krawatte im gleichen Farbton, sehr dezent, beim Pressegespräch an diesem Nachmittag ist sie gleich mehrfach vertreten.

Beim letzten Gipfel im März haben es die Luxemburger allerdings ein bisschen übertrieben: Muss es denn gleich ein MP3-Player sein bei einem Gipfel, der sich der Misere am Arbeitsmarkt widmen soll? „Ein MP3-Player?“, fragt ein anderer fassungslos. „Ich hab die Tüte stehen lassen, weil ich dachte, es sei wieder nur ein Bildband von Luxemburg drin.“

Eine Kollegin entwickelte eine ganz eigene Theorie zu den Präsenten: Ihre Qualität gebe Aufschluss über die Qualität der Präsidentschaft. Die Iren zum Beispiel hätten ihre Arbeit Anfang 2004 ganz hervorragend erledigt, die Verfassung gerettet (so glaubte man damals), José Manuel Barroso als Kommissionspräsident durchgesetzt (auf mittlere Sicht ebenfalls keine segensreiche Tat), aber immerhin ihr Pensum gut über die Bühne gebracht. Auch die Geschenke waren durchdacht: irische Butter, Cheddar, ein Fläschchen Whisky. Nur bei der CD mit modernen irischen Kompositionen schieden sich die Geister.

Ein Debakel war im Halbjahr davor die italienische Präsidentschaft. Pleite auf ganzer Linie, Blockage beim Verfassungsprozess. Entsprechend die Gastgeschenke: gezuckerter Sekt schlechtester Qualität, Kopfweh inklusive und ein Panettone-Kuchen, dessen Haltbarkeitsdatum überschritten war. Auch die Niederländer kommen in der Rückschau nicht gut weg: Der Regenschirm hielt den Gezeiten keine halbe Stunde stand, beim Becher brach der Henkel ab, und Mütze, Handschuhe und Schal gab es nur in Einheitsgröße – und das grauenvolle Blau! Kein Wunder, dass sich keiner so recht an die Errungenschaften des holländischen Rats-Semesters erinnern kann.

Derartige Pleiten bleiben den Gipfelbesuchern künftig erspart. Zu Hause werden sich die Halden an subventionierten Laptop-Taschen, bedruckten T-Shirts und eingestickten Handtüchern so ganz allmählich abbauen. Aber womit soll man sich jetzt die Zeit vertreiben beim Warten auf die Abschluss-Pressekonferenz, was bringt ein bisschen Farbe in die grauen Container-Tage zwischen Schreibtischen, Kopierern und gestanzten Euro-Deklarationen? Wer geht schon gern zur Weihnachtsfeier, singt die immer gleichen Lieder und kriegt hinterher noch nicht mal Geschenke?

Der einzige Trost: Die Sparmaßnahme dient einem guten Zweck. Das Geld geht an eine Aidsstiftung, hat Jean-Claude Juncker mitteilen lassen. Da muss ein altgedienter Kollege doch sofort an den G-8-Gipfel 1999 in Köln denken. Den wunderbaren „Kulturbeutel“ von damals hat er heute noch. Und den Krach mit seiner Frau nach der Heimkehr vergisst er auch nie, denn ins Seitenfach hatten die Gastgeber neben Klosterfrau Melissengeist und Mückenmittel ein paar Kondome gepackt. War doch auch eine Anti-Aids-Kampagne, irgendwie.