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Die Geister spuken weiter

Zwei Kunstprojekte in Karlshorst setzen sich an historischen Orten mit beklemmender europäischer Geschichte auseinander

Von Tom Mustroph

Auf starre Objekte legt sich immer neu Geschichte. „Za Rodinu“ („Für die Heimat“) steht in kyrillischen Buchstaben auf einem sowjetischen Panzer im Eingangsbereich des Museums Berlin-Karlshorst. Das Museumsgebäude war Stätte der Kapitulationsunterzeichnung, die das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte. Mit Sprüchen wie „Für die Heimat“ werden auch jetzt russische Soldaten für den Kampf in der Ukraine motiviert, selbst wenn ihre eigene Heimat oft ziemlich weit weg liegt, irgendwo in Sibirien, wo ein großer Teil der Rekruten herkommt.

An den historischen Ort führt aktuell die Ausstellung „Exit Is No Object“. In dem Raum, der im Museumsgebäude nach 1945 lange Zeit vom obersten Vertreter des SMAD (Sowjetische Militäradministration) als Dienstzimmer genutzt wurde, wird jetzt in einem Videoloop das extra für die Ausstellung von Joshua Fineberg komponierte Violinkonzert „No Exit“ gezeigt. Man sieht den Violinisten Ashot Sarkissjan, Mitglied des renommierten Arditti Quartetts, den Bogen über die Saiten führen. Die Töne allerdings zerfransen dabei. Melodiebögen brechen ein. Über den Monitor wandern Felder von Schärfe und Unschärfe, bis sich das Bild komplett in Pixel auflöst. „No Exit“ widmet sich dem Scheitern des Versuchs, menschliches Leid poetisch zu transformieren.

Leid und Leiden sind Hauptthema des gesamten Kunstprojekts. Es führt auch zu einem bislang weniger bekannten historischen Ort: das frühere Dienstgebäude des KGB. Es liegt nur ein paar Minuten zu Fuß vom Museum entfernt. Heute befindet sich darin die Katholische Hochschule Berlin. Ein Kruzifix im Foyer ist sichtbarstes Zeichen dafür. In den 1950er Jahren nutzte aber der KGB die Kellerräume als Gefängniszellen. Das geht aus Zeitzeugenberichten wie dem der Journalistin Ursula Rumin hervor. Sie wurde am 25. September 1952 verhaftet, mehrere Wochen in den Kellerräumen gefangen gehalten und schließlich ins berüchtigte Arbeitslager Workuta in Sibirien gebracht. Erst im Laufe der Entstalinisierung kam sie im Januar 1954 frei.

In einem gekachelten Kellerraum, der mutmaßlich auch in den 1950er Jahren als Duschraum für die Gefangenen diente, hat der Künstler und Co-Kurator der Ausstellung Dario Srbic zwei Uhren installiert. Auf einer ist das Datum 25. September 1952 zu erkennen, der Tag der Festnahme Rumins. Die andere zeigt das aktuelle Datum. Die Zeiger beider Uhren laufen im gleichen Takt. Zwei Welten sind parallel gestellt an diesem Ort.

Einblick in die Installation erhält man nur durch eine Überwachungskamera. Das ist einerseits heutigen Sicherheitsstandards zuzuschreiben. „Es gibt keinen Notausgang dort unten. Deshalb können wir kein Publikum dort hineinlassen“, sagt Kuratorin Elana Katz der taz. Das Fehlen eines Ausgangs passte dann aber auch perfekt zum Thema Gefängnis. Insgesamt sechs Installationen in sechs Kellerräumen sind über Überwachungskameras zu besichtigen. Wandzeichnungen von Tzu-Ting Wang nehmen Motive von Rumins Erzählungen auf. K. Yoland hängt lange Stoffbahnen von der Decke, die sich im Luftstrom von Ventilatoren sacht bewegen und das endlose Warten in den Zellen in ein Bild zu fassen suchen. Achim Valbracht drehte in seiner Installation die Blickrichtungen um. Eine Kamera ist an der Außenmauer des Gebäudes montiert und bringt Ansichten von der Außenwelt in die Zelle, wie sie die Insassen selbst niemals hatten.

Leid und Leiden sind Hauptthema des gesamten Kunstprojekts

Zur Eröffnung am letzten Freitag zeigte Katz auch eine Performance. Sie sprang auf Metallplatten und komminizierte so in dem Klopfalphabet, das seinerzeit auch Gefangene benutzten. Katz gibt an der Hochschule für angehende Trau­ma­the­ra­peu­t*in­nen Seminare zu Performancekunst und stieß so auf den historischen Ort. Die Ausstellung ist bis 5. Mai im Foyer der Hochschule zu sehen. Im Karlshorster Museum zeigt ab 22. April das Recherche-Kunst-Kollektiv Vajswerk die Aufführung „#geschichte schreiben“.

Im Format eines fiktiven Symposiums stellen vier Per­for­me­r*in­nen Positionen von His­to­ri­ke­r*in­nen mit den Themenfelder Südeuropa, Südosteuropa, Nordeuropa und Deutschland vor und lassen diese miteinander kollidieren, sich gegenseitig überschreiben und verdrängen – ganz so, wie es mit Diskursen, Haltungen und politischer Macht unentwegt geschieht. Alles immer irgendwie auch „Za Rodinu“, für die Heimat.

Exit is No Object, bis 5. Mai, Katholische Hochschule Berlin und Museum Karlshorst

„#geschichte schreiben“, 22., 23., 29., 30. April jeweils 19 Uhr, Museum Karlshorst

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