Rot-Grün verabschiedet Placebos für links

Weil der Wahlkampf naht, will die Koalition Hartz IV abmildern und niedrigere Unternehmensteuern verhindern

BERLIN taz ■ Die rot-grüne Koalition hat in den vergangenen zwei Tagen zwei symbolische Rollen rückwärts gemacht, um linke Wähler zu erfreuen. Erstens: „Hartz IV“ soll abgemildert werden. Zweitens: Die geplante Unternehmensteuerreform wird versenkt.

Beide Maßnahmen werden so aufgezäumt, dass die Vertreter der harten „Agenda 2010“-Linie, etwa der Kanzler, ihr Gesicht nicht verlieren sollen. Gleichzeitig dürfen aber sowohl die SPD-Linken, die stets auf Hartz-IV-Korrekturen drängten, als auch die Grünen, die eine Gegenfinanzierung der Unternehmensteuersenkung verlangten, Erfolge für sich verbuchen.

Allerdings: Die Zustimmung der Union im Bundesrat zu einer Entschärfung von Hartz IV ist zwar nicht nötig. Doch kann sie das Gesetz durch Verfahrenstricks im Vermittlungsausschuss ausbremsen – und dürfte dies auch tun. So bleibt das Projekt ein Wahlkampfmanöver.

Dennoch will die Koalition morgen früh im Eilverfahren ein Gesetz einbringen, das formal mit Hartz IV nichts zu tun hat, gleichwohl aber wie eine Hartz- IV-„Korrektur“ wirkt. Die frohe Botschaft: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I wird verlängert. Alle Arbeitnehmer über 45 Jahre, die vor dem 31. Januar 2008 ihre Stelle verlieren, sollen 32 Monate lang in den Genuss von Arbeitslosengeld I (Alg I) kommen, bevor sie auf „Alg II“-Niveau abrutschen. Ursprünglich sollten unter 55-Jährige ab Februar 2006 nur zwölf Monate Arbeitslosengeld I erhalten, über 55-Jährige 18 Monate.

Begründet wird die Kehrtwende damit, dass ältere Arbeitslose verblüffenderweise nun doch nicht so schnell in Jobs vermittelt werden können wie bei der Verabschiedung von „Hartz IV“ gehofft.

Mit dem gut klingenden Vorschlag, das Arbeitslosengeld I zu verlängern, will die Regierung einerseits Oskar Lafontaine und seiner Linkspartei Wind aus den Segeln nehmen. Nicht von ungefähr wurde gestern als neuer Wahlkampfcode der Begriff „linke Mitte“ gestreut. Aber auch die Union soll unter Druck geraten. Deren Wirtschaftsexperte Roland Pofalla erklärte ja kürzlich ebenfalls, dass für die älteren Arbeitslosen etwas getan werden müsse.

Der Unionsfraktionsvize Michael Meister mochte dies nun gegenüber der taz gestern nicht bestätigen. Er verwies auf die Verabschiedung des Wahlprogramms am 11. Juli: „Dann gibt’s ein Gesamtkonzept.“ Jedenfalls aber seien schon einmal die geschätzten Kosten des rot-grünen Plans von 3 Milliarden Euro unverantwortbar, deshalb lehne die Union ihn ab.

Bei der Unternehmensteuer sieht es so aus: Die vom Kanzler im März zunächst angekündigte, dann mit der Union auf dem „Job-Gipfel“ vereinbarte Senkung der Körperschaftsteuer soll vom zuständigen Finanzausschuss brav bis Ende Juni „abstimmungsreif“ gemacht werden. Die Finanzexperten der Parteien haben den Regierungsentwurf mittlerweile so umgeschrieben, dass die Unternehmen halt an anderer Stelle belastet werden: Die Dividendenbesteuerung und die Abzugsfähigkeit der Betriebsausgaben sollen verändert werden.

Wenn die Union dann wie vermutet dagegen ist und die in diesem Falle notwendige Zustimmung im Bundesrat zu verweigern droht, braucht man mit dem Gesetz auch nicht mehr in den Bundestag. Dann ist es halt vom Tisch. Und Rot-Grün war nicht schuld. LUKAS WALLRAFF
ULRIKE WINKELMANN