berliner szenen
: Mitteilung über ein Versäumnis

Knack, knack, knack. Der vierte Finger gibt keinen Laut von sich. Der nervöse Kunde reißt und zerrt an seinen Gelenken, während er am Kiosk ansteht. Endlich, jetzt knacken auch die letzten beiden. Grauenhaft klingt das, aber der Mann scheint zufrieden. Jetzt ist er dran. Er bestellt fünf einzelne Zigaretten, und während der Verkäufer eine neue Schachtel öffnet und sie einzeln herausklopft, bearbeitet der Kunde seine andere Hand.

Zum Glück spricht jetzt der Verkäufer und lenkt mit seiner einnehmend schönen Sprachmelodie von der Knack-Marotte ab. Er stammt aus Aserbaidschan, seine Muttersprache ist Russisch, als Kind hat er auch Türkisch und Persisch gelernt und schließlich, als seine Eltern nach Israel ausgewandert sind, noch Hebräisch und Englisch. Aber warum nach Berlin? Warum eine weitere unbekannte Sprache lernen? In Israel seien Osteuropäer damals schäbig behandelt worden, geringschätzig, nur amerikanische Juden waren willkommen. Auch beim Armeedienst fühlte er sich dauernd an den Pranger gestellt, deshalb wollte er weg.

Sein Vater hatte den Zweiten Weltkrieg in den Knochen und verlangte von seinem Sohn eine Prüfung: ob es ihm gelingen werde, allen Hass, alle Aversion gegen die Deutschen zurückzulassen, um ihnen mit Offenheit zu begegnen? Nur dann dürfe er nach Berlin gehen. Aber wie gelingt das? Es ist eine anhaltende Kraftanstrengung für Geist und Seele, erklärt der Verkäufer in sorgfältig gewählten Worten. Wenn sie misslingt, ruft er die guten Erfahrungen in sich wach. In seiner Berliner Anfangszeit habe er einen Behördenbrief bekommen, für ihn damals immer beunruhigend. Er wurde amtlich darauf aufmerksam gemacht, dass er Sozialleistungen nicht in Anspruch genommen habe, die ihm zustehen. Da habe er sich umsorgt gefühlt. Claudia Ingenhoven