Admiralsbrücke: Mikroökonomie
„Pfoten weg, du alte Schachtel“, scheucht der Mann mit dem schwarzen, nach hinten gegelten Haar die „alte Schachtel“ weg, die die neben ihm akkurat aufgereihte Bierflaschen einsammeln will. Das ist sein Leergut, das Geld für sein nächstes Pils.
„Was du wollen mit die ganzen Flaschen leer? Du besser arbeiten“, gibt ihm die „alte Schachtel“ zurück, während der Mann mit orientalisch gemusterten kurdischen Hosen, deren Schritt in der Kniekehle sitzt, ihr auf den Hintern zu klopfen versucht. Aber da er im Schneidersitz auf dem Boden hockt, ist er nicht beweglich genug. „Haust du endlich ab, du Blindschleiche“, legt er nach, weil die „Blindschleiche“ weiterhin so tut, als wolle sie ihm die Flaschen vor der Nase wegschnappen. Sie kabeln sich auf freundschaftliche Weise.
Aber es gibt auch den grantigen alten Muffel, der mit einer großen Ikea-Einkaufstüte unterwegs ist und dabei ahnungslose, über die Revierkämpfe nicht informierte neue Sammler angiftet. Sechs ältere, weißhaarige Frauen zähle ich, die über die Brücke streifen, seitdem sie zum Treffpunkt junger Touris geworden ist, für die es das Größte ist, ganze Nächte damit zuzubringen, auf dem Bordstein oder am Brückengeländer zu sitzen und zu trinken. Sie haben eine Art Mikroökonomie ins Leben gerufen oder vielleicht besser Elendsökonomie. Zu den Flaschensammlern hat sich auch eine Cocktailmixerin gesellt. Sie hat eine kleine Kühlbox dabei und ein wackliges Beistelltischchen, ist mit Minze, Zitrone und Crushed Ice rudimentär mit Beilagen ausgestattet. Sie schüttelt in Plastikbechern etwas zurecht, das Mojito sein soll. Fünfzig Meter weiter in der Admiralstraße brennt ein Auto. Polizei rennt über die Brücke zum Tatort, Feuerwehr lalüt um die Kurve. Die Frau hat zwei Flüssigkeiten zusammengeschüttet und bewegt ganz professionell zwei ineinandergesteckte Plastikbecher rhythmisch über der Schulter. KLAUS BITTERMANN
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