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Wofür es keine Worte gibt

Hirnblutung: Fen Verstappen ringt damit, das Unfassbare zu begreifen

Von Carola Ebeling

Die fast 60-jährige Mutter der Ich-Erzählerin erleidet eine Hirnblutung. Sie stirbt nicht daran, sie erwacht nach mehreren Wochen im Koma als eine andere. Wer ist dieser Mensch, in dem die Erzählerin, ihre Schwester und ihr Bruder die Persönlichkeit der Mutter nicht mehr erkennen können, „während du noch immer unsere Mutter bist“? Wie trauert man angesichts eines nahen Menschen, der da ist und doch nicht mehr da ist? Der verschwunden ist, aber nicht tot: „Du bleibst irgendwo dazwischen hängen. Sprachlos im Bett. Formlos verloren.“

Die 1981 geborene Fen Verstappen schreibt über eine autobiografische Erfahrung und gestaltet sie als eine dichte, fein komponierte Erzählung. Eine Erzählung, die dem Individuellen dieser Familie Raum gibt: Die Mutter ist Modedesignerin, die Schwester entwirft Taschen, der Bruder Schmuck – ein kreatives Familiengefüge, in dem die Mutter den Takt vorgibt. Die Erzählerin unterstützt es mit ihrem weniger praktischen Sinn für Worte, schreibt PR-Texte und organisiert. Einmal im Jahr treffen alle bei der Pariser Fashion Week aufeinander. Diese Begegnung bildet im Buch einen Ankerpunkt, denn kurz danach erleidet die Mutter die Hirnblutung.

Die Erzählung steigt mit dem unheilvollen Ereignis ein, fächert sich dann in zwei zeitliche Stränge auf. Sie bewegt sich in einer Art Countdown darauf zu, „Vier Wochen vor Paris“, „Zwei Wochen vor Paris“ sind diese Kapitel überschrieben, die sich mit solchen abwechseln, die die Zeit ab dem Tag der Katastrophe beschreiben. In diesem steten Wechsel erleben die Lesenden stark den Kontrast zwischen der expressiven Persönlichkeit der Mutter und deren so grausamer Reduktion. Eingestreut sind zudem Abschnitte, die weiter in die Vergangenheit reichen.

Es sind allesamt kurze Kapitel, zwischen einer halben und maximal zweieinhalb Seiten lang. Fragmente, in denen die Autorin ein auf das Wesentliche reduziertes Familienporträt entwirft, in dem auch die Konflikte, insbesondere zwischen der Erzählerin und der Mutter, sichtbar werden. Das gelingt aufgrund ihres feinen Gespürs für aussagekräftige Szenen, Situationen, präzise Beobachtungen.

Und mit diesem schafft sie es auch, das Unfassliche nahezubringen – gerade weil sie selbst um ein Begreifen ringt. Der Einbruch in den Alltag, der abrupte Stopp aller Normalität. Die eigene Welt der Intensivstation, völlig abgekoppelt von den strukturgebenden Merkmalen des Draußen. Wer Ähnliches erlebt hat, wird manches wiederfinden. So wie Verstappen eine individuelle Erfahrung erzählt, so weist ihr Text darüber hinaus.

Fen Verstappen: „Lebenslektionen meiner Mutter“. Aus dem Niederländischen von Janine Malz. Droschl, Graz/Wien 2023. 134 Seiten, 22 Euro

Auch in den existenziellen Gefühlen von Ohnmacht – nicht zuletzt den Ärz­t*in­nen gegenüber, welche der Mutter jegliches Bewusstsein absprechen und sich irren, wie sich zeigen wird –, Angst, Mitgefühl, Trauer, ohne dass der Verlust fassbar, eindeutig wird.

Und immer wieder das Gefühl, keine angemessenen Worte für das Geschehene zu haben. Nicht anderen gegenüber. Nicht für sich, um für sich selbst eine irgendwie handhabbare Geschichte daraus formen zu können. Das Buch ist auch Ausdruck dieser Suche nach Sprache, Mitteilbarkeit und zugleich ihr so tastendes wie berührendes Ergebnis.

Die hektisch am Morgen des Unglücks in den Kühlschrank gestopfte Pfanne mit Bohnensuppe, die ins Gemüsefach tropft, ist eines der vielen kleinen, sprachlich klar gestalteten konkreten Details, in denen sich die große Traurigkeit offenbart. Eine Spur der vertrauten Person, die die Mutter war – die nicht mehr nach Hause kommt, um die Suppe am Abend aufzuwärmen.

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