: VON A WIE AGRARPOLITIK BIS Z WIE ZIEL-EINS-GEBIET – DAS EUROPÄISCHE FINANZLEXIKON
Agrarpolitik, gemeinsame, erhält die unrentable europäische Landwirtschaft am Leben. Fast die Hälfte des EU-Haushalts wird jedes Jahr dafür ausgegeben (40 Milliarden Euro). Während die Zahlungen früher fast ausschließlich an die Produktion gebunden waren und zu Milchseen und Tomatenhalden führten, sollen die Bauern künftig für ihre landschaftspflegerischen Leistungen bezahlt werden – unabhängig von der produzierten Menge. Dieser Teil des EU-Haushalts muss nicht vom EU-Parlament gebilligt werden (s. obligatorische Ausgaben).
Britenrabatt: 5,2 Milliarden Euro bekam Großbritannien im Jahr 2003 zurücküberwiesen. Das sind zwei Drittel des britischen Beitrags. Margaret Thatcher hatte den jährlichen Nachlass 1984 ausgehandelt (s. I want my money back!), weil ihr Land so gut wie gar nicht von den Agrarbeihilfen profitiert (s. Agrarpolitik, gemeinsame). Heute fließen zusätzlich zum Rabatt beachtliche Summen zurück, etwa in Struktur- und Forschungsprojekte. Dennoch bleibt Großbritannien mit 2,8 Milliarden pro Jahr der zweitgrößte Nettozahler.
CoCoBu ist keine seltene Papageienart, sondern der Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments. Das Comité du Controle Budgetaire be-reitet die Entlastung für das Haushaltsjahr vor, wertet den Rechnungshofbericht aus und kümmert sich um Betrugsbekämpfung. Beim Sturz der Santer-Kommission spielte der CoCoBu eine entscheidende Rolle. Heute sitzt Paul van Buitenen, der als Kommissionsbeamter den Skandal öffentlich machte, für die holländischen Grünen im CoCoBu.
Direktbeihilfen: Als Ergebnis der Agrarreform wird in der nächsten Finanzplanungsperiode ab 2007 der Löwenanteil (25 von 40 Milliarden) der Agrarbeihilfen produktionsunabhängig ausgezahlt. Dadurch steigt der Anreiz, qualitätsvolle Lebensmittel zu produzieren – vorausgesetzt, die Verbraucher wollen für gutes Essen mehr Geld ausgeben. Alle Versuche, den Agraranteil im EU-Haushalt den Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen und radikal zugunsten von Forschung und Entwicklung zu kürzen, scheiterten bislang am französischen Widerstand. Im Oktober 2002 zementierten Schröder und Chirac die geltende Agrarordnung mit ihrem unhistorischen Deal.
Eigenmittel sind die Einnahmen der EU. Sie setzen sich zusammen aus allen Zolleinnahmen (11,7 Prozent des EU-Haushalts), einem bestimmten Anteil der -> Mehrwertsteuer jedes Landes (14,1 Prozent des EU-Haushalts) und den Beiträgen der Mitgliedsländer (73,4 Prozent des Haushalts). Der derzeit geltende Eigenmittelbeschluss vom September 2000 legt fest, dass der Haushalt 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der Mitgliedsländer nicht übersteigen darf. Die Nettozahler-Länder möchten, dass nur 1 Prozent des BNE in Brüssel ausgegeben wird. Das macht pro Jahr einen Unterschied von knapp 30 Milliarden Euro.
Flexibilitätsreserve ist der Sparstrumpf der Union für unvorhergesehene Ausgaben. Das Europäische Parlament hat in seinem Haushaltsvorschlag angeregt, dafür pro Jahr 3,5 Milliarden Euro in Reserve zu halten, die aber nicht dem eigentlichen Haushalt zugerechnet werden sollen. Mit diesem kosmetischen Trick würde ein optischer Spareffekt erzielt, der Parlamentsvorschlag und Nettozahlerwünsche näher zusammenbrächte. Die Flexibilitätsreserve verteilt sich auf die Bereiche Wettbewerbsfähigkeit (s. Innovation), -> Kohäsion, Soforthilfe wie beim Tsunami, Fonds für Katastrophenhilfe und sonstige unvorhergesehene Ausgaben.
Gemeinschaftsaufgaben: alle Politik, wo Brüssel Regie führt wie etwa Lebensmittelsicherheit, Wettbewerbskontrolle oder Badewasserqualität. Zwar sind die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die europäischen Gesetze und Mindeststandards durchzusetzen, doch Brüssel muss kontrollieren, dass alles ordentlich umgesetzt wird. Gute Verwaltung kostet Geld. Die EU-Kommission hat derzeit 40.000 Mitarbeiter, doppelt so viel wie die Stadt Köln.
Haushalt, europäischer, bezeichnet alle EU-Einnahmen und Ausgaben. Das Vorschlagsrecht liegt bei der EU-Kommission. Derzeit umfasst der Haushalt 100 Milliarden Euro, für kommendes Jahr hat die Kommission 112 Milliarden vorgeschlagen. Über die -> obligatorischen Ausgaben entscheidet der Rat, die übrigen Posten wie Strukturförderung, Forschungsförderung (s. Innovation) oder Verwaltung muss das Parlament absegnen.
Innovation umfasst diejenigen Gemeinschaftsinitiativen, die Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken sollen. Was darunter verstanden wird, bietet viel Anlass zu Grundsatzstreit. Im 6. Forschungsrahmenprogramm stehen für die Jahre 2002 bis 2006 14,9 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit wer-den Umwelttechnologien, aber auch Stammzellenforschung und Kernenergieprojekte gefördert.
Juncker, Jean-Claude, Europäischer Ratsvorsitzender von Januar bis Juni 2005, dienstältester Regierungschef im Kreis der 25 Staaten. Bereits 1985, als 31-Jähriger, leitete er die Finanzverhandlungen unter damaliger luxemb. Ratspräsi-dentschaft -> Want my money back! Von Helmut Kohl „Junior“ genannt. Zwanzig Jahre Erfahrung im europäischen Verhandlungsdschungel, dennoch erschüttert angesichts der aktuellen Krise der Union.
Kohäsion: lat. cohaerere = verknüpfen. Die Lebensbedingungen in der Union im Bezug auf Bildung, Infrastruktur, Pro-Kopf-Einkommen sollen durch Kohäsionspolitik einander angenähert werden. Die reicheren Staaten füllen durch ihre Beiträge die Kohäsionsfonds, aus denen Projekte für benachteiligte Regionen gefördert werden sollen (s. Strukturpolitik).
Litanei: von griech. Bitte, Flehen, ist eine Form des gemeinschaftlichen Gebets, bei der von einem Vorsänger (hier: Jean-Claude Juncker) Anrufungen Gottes vorgetragen und von der Gemeinde (hier: Nettozahler Deutschland, Frankreich, Österreich, Holland und Schweden) mit einem gleich bleibenden Ruf („Lass ab vom Rabatt!“) beantwortet werden. Im so genannten Beichtstuhlgespräch zwischen Juncker und Großbritanniens Regierungschef Blair wird die Litanei fortgesetzt.
Mehrwertsteuer müssen alle Mitgliedsländer erheben, in Deutschland beträgt sie derzeit 16 Prozent. Nur in Luxemburg ist die Mwst. noch niedriger. In Dänemark und Schweden erhebt der Staat 25 Prozent Zuschlag. Ein vorher ausgehandelter Anteil wird an den EU-Haushalt abgeführt (s. Eigenmittel). Eine nationale Mehrwertsteuer-Erhöhung ändert nichts am EU-Beitrag.
Nettobelastung: die Differenz aus dem Beitrag eines Mitgliedslandes und den finanziellen Zuwendungen, die es aus den unterschiedlichen Politikbereichen (s. Agrarpolitik, Strukturpolitik, Forschungsförderung) des EU-Haushalts erhält. Deutschland ist das Land mit der größten N., pro Kopf berechnet sind die Niederlande der größte Nettozahler.
Obligatorische Ausgaben: derjenige Teil des Haushalts, der direkt aus den vertraglichen Verpflichtungen abgeleitet wird, vor allem die Agrarausgaben, aber auch Zusagen des Rats in der Außenpolitik. In diesem Bereich hat das EU-Parlament kein Mitentscheidungsrecht.
Prodi-Paket: Im Frühjahr 2004 hat die Kommission einen eigenen Vorschlag für die Finanzausstattung der Union von 2007 bis 2013 vorgelegt. 1,24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen demnach von Brüssel aus verteilt werden (s. Eigenmittel). Barrosos Vorgänger Prodi begründete das mit den gewachsenen Aufgaben der Union, vor allem in der Außenpolitik, der Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität und Terrorismus, der Einwanderungspolitik, der Nachbarschaftspolitik, der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der EU-Erweiterung. Barroso hält an diesem Entwurf fest.
Quadratur des Kreises wird von den EU-Finanzministern die Aufgabe genannt, gleichzeitig mehr Geld für die Politik in Brüssel bereitzustellen und den Stabilitätspakt einzuhalten. Vor allem der deutsche Finanzminister verweist gern darauf, dass diese beiden Forderungen der EU-Kommission nicht in Einklang zu bringen seien.
Rabatt auf den Rabatt erhalten die größten Nettozahler Deutschland, Österreich, die Niederlande und Schweden. Sie beteiligen sich nur zu je einem Viertel am Beitragsnachlass für Großbritannien.
Strukturfonds: Finanzierungsinstrument der EU, das darauf abzielt, das Entwicklungsgefälle zwischen den Regionen und Mitgliedstaaten zu verringern (s. Kohäsion). Damit soll der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt in der Union gestärkt werden. In den ärmsten Regionen kann der Zuschuss aus Brüssel bis zu 75 Prozent der Projektkosten betragen, im Regelfall erfolgt die Finanzierung zu 50 Prozent aus Mitteln des Mitgliedstaates.
Trilog: im Vertrag nicht vorgesehene Vermittlungsrunde zwischen Rat, Parlament und Kommission. Da nach der Erweiterung der reguläre Vermittlungsausschuss zu schwerfällig geworden ist, kommt dem Trilog immer größere Bedeutung zu. Auch über den -> Haushalt und über die -> Vorausschau, finanzielle, wurde bereits mehrfach im Rahmen des Trilogs verhandelt.
Umverteilung: eine der Gründungsideen der Europäischen Union, um durch Verringerung des Gefälles zwischen armen und reichen Mitgliedsländern das Konfliktpotenzial zu verringern und Europa zu einem einheitlichen und friedlichen Wirtschaftsraum zu machen.
Vorausschau, finanzielle: im Vertrag nicht vorgesehene, auf sieben Jahre angelegte Finanzplanung. Hauptthema des Brüsseler Gipfels vom 16./17. Juni 2005. Soll dazu beitragen, für langfristig angelegte Projekte finanzielle Verlässlichkeit zu schaffen, muss mindestens 18 Monate Vorausplanung ermöglichen. Für die zum 1. Januar 2007 beginnende Planungsphase ist der Juni-Gipfel deshalb der letztmögliche Einigungstermin.
Want My Money Back: wörtl. „will mein Geld zurück“. Überlieferter Ausruf der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher. Die britische Premierministerin wollte mit dieser Formel ihre männlichen Kollegen bei den Finanzverhandlungen 1984 für die Idee eines Rabatts auf die britischen Beitragszahlungen gewinnen. Heute häufiger: „Want to keep my money“, wörtl. „will mein Geld behalten“, überlieferter Ausspruch des britischen Premiers Tony Blair.
XXL: Größe des EU-Haushalts nach Wunsch der EU-Kommission. Deutscher Finanzminister Hans Eichel plädiert eher für XS.
Yankee: umgangssprachl. für US-Amerikaner. Der Yankee wünscht, dass der Eu-ropäer mehr Haushaltsmittel für gemeinschaftliche Rüstungsprojekte einstellt. Die Einfuhrkontrollen von Saat- und Futtermitteln auf gentechnische Verunreinigungen könnten hingegen eingespart werden.
Ziel-eins-Gebiete: Regionen, deren Pro-Kopf-Brutto-Inlandsprodukt weniger als 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts beträgt. Bislang kommen alle neuen deutschen Bundesländer in den Genuss von Ziel-eins-Förderung. Da sich durch die Erweiterung das statistische Durchschnittseinkommen nach unten verschoben hat, wird künftig die meiste Förderung aus diesem Topf in Osteuropa verplant werden.
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