wortwechsel
: Volksbegehren: Klimarettung, später

In Berlin ist das Volksbegehren für eine klimaneutrale Hauptstadt bis 2030 gescheitert. War das Ziel zu hoch gesteckt? War es die Angst vor den Kosten für jeden?

Enttäuschung über gescheiterten Volksentscheid Foto: Christophe Gateau/dpa

„Nur Öko reicht nicht“, „Signal aus Spandauer Vorgärten“, „Grandios gescheitert“, „Klimarettung verschoben“

taz vom 26. und 28. 3. 23

Desinformations­kampagne

Die Trennung in Außenbezirke und Innenstadt ist vermutlich auch durch die Ei­gen­heim­be­sit­ze­r:in­nen in den Randbezirken bedingt, die Angst vor der Heizungsumstellung haben. Die Desinformationskampagne von Bild und Co zeigt da ganz offensichtlich Wirkung, so auch einige Kommentare im Regionalfernsehen. Und ich habe festgestellt, dass selbst bei sonst gut informierten Menschen die Differenzierungen und Abmilderungen teilweise nicht angekommen sind. Da hätten die Grünen unverzüglich reagieren müssen und nicht erst zwei Wochen später.

Almut Jirku, Berlin

Ökologie und Ökonomie

Nachdem Franziska Giffey dafür gesorgt hatte, dass der Volksentscheid nicht mit der Wiederholungswahl zusammengelegt wurde, gab es auch aus dem vermeintlich progressiven Teil der Zivilgesellschaft mächtigen Gegenwind gegen das „Ja“; so z. B. von M. Shafaqyar/Die Linke. Schäbig dabei die Argumentationslinien, zum einen bzgl. der mangelnden Konkretion und noch schlimmer der Gegenüberstellung von Ökologie und Ökonomie. Und ich dachte, wir wären eigentlich schon ein Stück weiter… Dass die Grünen erst nach langem Rumeiern und eher halbherzig auf den fahrenden Zug aufgesprungen sind, war am Ende auch nicht mehr hilfreich. Inzwischen haben, nicht zuletzt auch die Grünen erkannt, dass ein ökologisches Umsteuern nicht umsonst zu haben ist. Zuerst kostet es die Gemeinschaft und den Einzelnen etwas. Langfristig werden diese Kosten jedoch mehr als wett gemacht, direkt und nicht zuletzt mit einer lebenswürdigeren Umwelt. Ein erfolgreiches „Ja“ hätte den Regierenden zumindest etwas mehr Feuer unterm Hintern gemacht, auch wenn die üblichen Verdächtigen in der nahen Vergangenheit gezeigt haben, so etwas aussitzen zu können.Uwe Fischer, Berlin

Hardcore-Klimaaktivisten

Der Text tropft vor Selbstüberhebung und Selbstgerechtigkeit. Sie nehmen überhaupt nicht ins Kalkül, dass es gute Gründe gibt, jenseits von SUV und Schwimmbad gegen die Vorlage zu stimmen. Pragmatismus und Realitätssinn, der Ihnen und den Hardcore-Klimaaktivisten abgeht. Interessant wäre auch die Frage, wie viele Wähler mit Nein gestimmt haben, weil ihnen die Klimakleber inzwischen dermaßen auf die Nerven gehen, dass sie diesen hauptberuflichen Aktivisten einfach nur ein Stoppschild auf die Nase kleben wollen. Diese haben ihrer Sache durch die ständigen Nötigungen den größtmöglichen Bärendienst erwiesen.Frank Leimkugel, Mülheim

Change by Disaster

Die Naturgesetze scheren sich nicht darum, ob sich die Menschen mitgenommen fühlen, wir kein Geld für Maßnahmen haben und wir mehr Zeit brauchen, sie gehen einfach ihren Gang. Wenn wir zu einem Change by Design nicht in der Lage sind, weil wir zu bequem sind, unsere Verhaltensweisen zu ändern und unseren materiellen Konsum massiv einzuschränken, dann werden uns die Naturgesetze und Ökosysteme per Change by Disaster dazu zwingen bzw. dafür sorgen das wir als Spezies eine Randnotiz in der Erdgeschichte sein werden.

Mitnehmen der Menschen klingt gut, ist aber nur eine verbrämte Beschreibung dafür, dass man die Anspruchshaltungen von Menschen nicht infrage stellen darf und ihnen nichts zumuten darf, schon gar nicht materiellen Verzicht. Ohne Verzicht geht es aber nicht, denn wir leben jetzt schon jenseits der planetaren Grenzen und der Planet Erde gibt uns nur begrenzt Kredit, genau wie jede Bank, und unser Rating liegt inzwischen kurz vor Ramschniveau. Der Volksentscheid hat nur wieder klar gezeigt, dass ein Change by Design gesellschaftlich nicht erwünscht ist, auch wenn ein Change by Disaster wesentlich gravierendere Folgen hat, nämlich den Zusammenbruch der zivilisierten Gesellschaften, aber eben erst in der Zukunft. Es wird tragischerweise zuerst die Menschen im globalen Süden treffen, die wenig bis nichts zu dem Disaster beigetragen haben, aber es wird auch uns alle einholen. Ressourci auf taz.de

Der Mensch muss was tun

Es ist für jeden leicht erkennbar, dass es viel zu tun gibt. Aber was meiner Meinung nach die Aktivisten klar verkennen, ist, dass die Politik nicht alles in der Hand hat. In vielen Bereichen kann man Leitlinien vorgeben und bestimmtes Verhalten fördern, aber ein großer Teil muss eben auch von den Menschen selbst getan werden. Eine Hauptstadt binnen sieben Jahren klimaneutral zu bekommen, noch dazu eine chronisch klamme wie Berlin, ist kein Pappenstiel. Die Investitionen sind enorm und würden am Ende bei öffentlichen Einrichtungen, Gebühren aller Art und Mieten eben auch beim Bürger aufschlagen. Und je ambitionierter das Ziel, desto höher die Kosten. Die Vorgabe von sieben Jahren ist für ein solches Ziel in meinen Augen unredlich, wenn man sich nicht zum Ziel durchmogeln will, Stichwort CO2-Zertikate.Inslot auf taz.de