: Vergib uns unsere Gemeinheit
Elfriede Jelinek wird vereinnahmt: von der österreichischen Rechten zur Hassabfuhr, von der Linken zur Wunscherfüllung, wie eine Veranstaltung im Wiener Parlament zeigte
Es gibt Dinge, gegen die kann selbst die Schwedische Akademie nichts ausrichten. Die Konsequenz, mit der das öffentliche Sprechen in Österreich das Werk von Elfriede Jelinek als ästhetische Praxis ignoriert, gehört dazu. In den 90er-Jahren waren Rufmord und der selbst induzierte Skandal die Mittel der Wahl für rechte Parteien und Wiener Boulevardmedien. Nach dem Nobelpreis überwiegt die liebende Vereinnahmung, die es allerdings auch zuvor schon gab. Das vorgeblich „andere Österreich“, das nicht der Erbsünde der Geschichtsvergessenheit und der provinziellen Dumpfheit verfallen ist, braucht in Ermangelung realpolitischer Fortschritte die Widerstandsheldin. Den Rechten wie den Linken gemein ist die doppelte Bewegung gegenüber der Dichterin, ihre Verstoßung aus dem nationalen Kollektiv, das über diese Immunisierung erst zu sich kommt, und der gleichzeitige Anspruch auf Definitionsmacht über Person und Werk. Die Züge und die Schrift verblassen, die Ikone Jelinek wird Einschreibefläche zur Hassabfuhr oder zur symbolischen Wunscherfüllung, je nach Position im nationalen Drama.
Eine neue Variante des Jelinek-Business ohne Jelinek liefert das preisgerecht installierte Elfriede-Jelinek-Forschungszentrum am Wiener Germanistik-Institut. Dessen Leiterin, Pia Janke, hat mit einem dickleibigen alphabetisch geordneten „Werkverzeichnis“ alles katalogisiert, was von, für oder gegen Jelinek jemals geschrieben worden ist. Ein solches Konvolut birgt naturgemäß einen anekdotischen Reichtum, aus dem Janke, sekundiert von ihren wissenschaftlichen Beirätinnen, der Wiener Theaterwissenschaftlerin Hilde Haider-Pregler und der Kritikerin Sigrid Löffler, eine gewisse Deutungsmacht über die innenpolitische Wirkungsgeschichte der Dichterin herleitet.
In einem der Prunkräume des Wiener Parlaments, schirmherrschaftlich milde betreut von der sozialdemokratischen Vizepräsidentin des Österreichischen Nationalrats, setzte das Forschungszentrum nun eine Art von akademischem Match an: „Österreich : Jelinek – Eine Auseinandersetzung“. Jelinek, die Gastmannschaft, wurde gar nicht erwartet, stößt traditionelles Verständnis von Philologie doch immer wieder auf ein Problem, wenn die Gegenstände noch leben. Das heimische Team war dafür massiert am Podium vertreten in Gestalt der KultursprecherInnen der vier Parlamentsparteien, die von ihren Wählern gewiss nicht für ihr distinguiertes Urteil zu Fragen der Literatur nach Wien entsandt wurden. Das öffentliche Sprechen der LiteratInnen war der Macht von jeher suspekt, dafür darf jetzt zurückgeredet werden. Die linke Reichshälfte fühlte sich von Jelinek in ihrer moralischen Weltsicht erwartungsgemäß bestätigt, die rechte von ihrer ästhetischen Negativität düpiert. Statt der Fairness einer akademischen Auseinandersetzung ereignete sich eher eine Art von Buß-Liturgie, die für den aktuellen Stand der österreichischen Jelinek-Rezeption genommen werden kann: Heilige Elfriede, vergib uns unsere Gemeinheiten, aber lass uns endlich in Ruhe. UWE MATTHEIS
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