Der gute Geschmack, von Jazzanova und Schmidt ganz geschmackvoll in Balance gebracht

Jeder kennt diesen Typen. Der, der immer Recht hat. Der alles weiß und alle kennt. Dem man aber trotzdem nicht böse sein kann, weil er diese leicht demütige Nonchalance besitzt und diesen wahnsinnig guten Geschmack. Irgendwann aber nervt der Typ natürlich trotzdem – gerade wegen all seiner Großartigkeit.

Ein bisschen ist das auch so mit Jazzanova. Das Berliner DJ- und Produzentenkollektiv arbeitet nun schon seit 15 Jahren vehement an eleganten, stets im mittleren Tempo pluckernden, ausgewogenen, nach allen Seiten hin abgesicherten Tracks, dass man sich langsam fragen darf: Kann man womöglich sogar zu viel guten Geschmack besitzen? Das wird besonders deutlich auf dem neuen Album des Quintetts. Für die „Funkhaus Studio Sessions“ gingen Jazzanova mit ihrer siebenköpfigen Band, die sie sonst auf der Bühne unterstützt, ins ehemalige Funkhaus des DDR-Rundfunks in der Nalepastraße in Oberschöneweide, um dort im Rundfunk-Orchester-Studio unter kontrollierten Bedingungen das erste Live-Album ihrer Geschichte einzuspielen. Das Ergebnis ist aber ganz und gar nicht ostig, sondern hat tatsächlich Weltniveau und klingt wie französischer Rotwein, britische Autos und italienische Maßanzüge: Souverän swingt der Downbeat, grandios knistert der Jazz, sehnsüchtig schmachtet der Soul, grundsolide groovt der Funk. Es ist unglaublich, aber jede Note sitzt garantiert hundertprozentig exakt an der richtigen Stelle. Das Ergebnis ist natürlich nicht allzu überraschend, andererseits aber auch nicht langweilig, denn das verbietet ja der gute Geschmack. Aber selbst wenn Jazzanova mondän klingen, hören sie sich doch vor allem an wie ein Musterschüler, der sich schlauer wähnt als seine Lehrer.

Ganz gelehrige Schülerin ist auch Schmidt. Die Sängerin ohne Vornamen ist Wahlberlinerin und Schützling eines gewissen Guy Chambers. Da klingeln jetzt einige, je nach Standpunkt, Alarmglocken oder Glücksglöckchen, denn Chambers ist der Mann hinter den großen Erfolgen von Robbie Williams. Er schrieb dem ehemaligen Take-That-Komiker die Songs, produzierte ihn und machte ihn zum Weltstar. Seit die beiden nicht mehr zusammen arbeiten, geht es mit Williams bergab, aber das mag ein Zufall sein. Genau so ein Zufall wie die Entdeckung von Schmidt, von deren angenehm dunkler, aber nicht zu verruchter Stimme der britische Produzent, der seine Finger bei nicht weniger als einem Dutzend Nummer-Eins-Alben im Spiel hatte, vor einem Jahr so begeistert war, dass er sie unter seine Fittiche nahm. Zusammen haben die beiden das Debütalbum „Femme Schmidt“ geschrieben, das die Neuentdeckung in einer vermeintlichen Marktnische platziert, irgendwo zwischen Amy Winehouse, Norah Jones und Marlene Dietrich. Soll heißen: Der Jazz ist nicht zu jazzig, der Soul nicht versoffen und das Chanson eher deutsch denn französisch. Alles ist verdammt ausbalanciert, von jeder Unwucht befreit und über alle Maßen geschmackvoll. Andererseits, auch das beweist dieses Album: Selbst vom guten Geschmack kann man mitunter zu viel kriegen. THOMAS WINKLER

■ Jazzanova: „Funkhaus Studio Sessions“ (Sonar Kollektiv/Alive)

■ Schmidt: „Femme Schmidt“ (Warner)