Der Flirt bleibt legal

VON BEATE WILLMS

Kann eine Konzernleitung den Beschäftigten Vorschriften für das Liebesleben machen? Nein, meint das Wuppertaler Amtsgericht –und kassierte einen entsprechenden Verhaltenskodex des US-amerikanischen Einzelhandelskonzern Wal-Mart in Teilen ein. Eine Klausel, die Liebesbeziehungen unter Mitarbeitern regelt, sei ebenso wenig mit dem deutschen Arbeitsrecht vereinbar wie eine Telefonhotline, über die Verstöße gegen den Kodex anonym nach oben gemeldet werden sollten. Die Urteilsbegründung lag gestern noch nicht vor.

Aus diesem Grund wollte sich bei Wal-Mart noch niemand zu dem Beschluss äußern. Martina Sönnichsen, Einzelhandelsexpertin der Gewerkschaft Ver.di, dagegen sprach von einem „ersten Erfolg“, der aber „erwartbar“ gewesen sei. Immerhin habe Wal-Mart die mitbestimmungspflichtigen Richtlinien komplett am Betriebsrat vorbei installieren wollen. Ver.di unterstützte den Gesamtbetriebsrat, der die Klage eingereicht hatte.

Wal-Mart hatte mit der Februar-Gehaltsabrechnung einen insgesamt 33-seitigen Verhaltenskodex „Unternehmensethik“ an die Beschäftigten verteilen lassen. Unterzeichnet von Vorstandschef S. Robson Walton und Präsident H. Lee Scott Jr. Darin aufgelistet: die Unternehmensgrundsätze sowie zehn „ethische Leitprinzipien“, die jeder Mitarbeiter zu verinnerlichen habe – von der „Pflicht, die Gesetze jederzeit zu befolgen“ bis zum Aufruf, „über tatsächliche und vermutete Verletzungen der Ethik zu berichten“. Konkret verbietet das Werk unter anderem Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen: Wal-Mart-Mitarbeiter, heißt es, „dürfen nicht mit jemandem ausgehen oder in eine Liebesbeziehung mit jemandem treten, wenn sie die Arbeitsbedingungen dieser Person beeinflussen können oder der Mitarbeiter ihre Arbeitsbedingungen beeinflussen kann“. Bei Nichteinhaltung drohten „disziplinarische Maßnahmen bis hin zur Kündigung“.

Als Ganzes kassieren wollten die Wuppertaler Richter die „Unternehmensethik“ aber nicht. Weite Teile seien so allgemein gefasst, dass sie für die Mitarbeiter ohnehin nicht verbindlich seien.

Trotzdem könnte der Beschluss zum Präzedenzfall werden. Bisher gibt es so gut wie keine Urteile zu Verhaltenskodexen, obwohl sie in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Bei einer Umfrage der Unternehmensberater von KPMG hatte mehr als jede zweite befragte Firma bereits eigene ethische Richtlinien. Dahinter steht die Forderung nach mehr gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen, die nach klaren Kriterien für wirtschaftlich und politisch korrektes Verhalten verlangt. Im Sinne der Corporate Identity gelten die Vorschriften für das Management übrigens genauso wie für die einzelnen Mitarbeiter. In den USA beispielsweise stürzte der Chef des Flugzeughersteller Boeing, der selbst am Ethikkodex des Unternehmens mitgearbeitet hatte, erst kürzlich über eine Liebesaffäre.

Dass das erste abschlägige Urteil in Deutschland ausgerechnet ein US-Unternehmen trifft, kommt auch nicht von ungefähr: Immerhin prallen hier zwei Unternehmenskulturen aufeinander. Während sich beispielsweise bei BASF Management und Betriebsrat zusammensetzten, um gemeinsam Richtlinien aufzustellen, verwiesen die Wal-Mart-Chefs in ihrem Brief darauf, dass Arbeiten in ihrem Konzern mehr ist als ein Gelderwerb – nämlich eine Lebenseinstellung, die jeder Mitarbeiter zu verinnerlichen habe, samt der dazugehörigen Werte. Dass beides nicht leicht zu verbinden ist, leuchtet ein. Dass es aber doch geht, zeigt das Beispiel Lucent Technologies: Der ebenfalls US-amerikanische Telekomausrüster versuchte zeitgleich mit Wal-Mart, einen Verhaltenskodex zu installieren. Nach dem ersten Unmut der Beschäftigen bezog er den Betriebsrat ein – und hatte Erfolg.