„Bittere Medizin mit Zucker schlucken“

ERINNERUNG Zum Jahrestag der Bücherverbrennung lesen Adriana Altaras, Nina Petri und Gustav Peter Wöhler aus Altaras’ „Titos Brille“. Die taz sprach mit ihr über Vorzüge des Humors, Wohnungsauflösungen als Geschichtsunterricht und deutsch-jüdische Verhältnisse

■ 52, wurde in Zagreb geboren, kam 1967 zum ersten Mal nach Deutschland und lebt heute als erfolgreiche Schauspielerin, Theaterregisseurin und Autorin mit zwei fußballbegeisterten Söhnen und ihrem westfälischen Ehemann in Berlin. Sie ist unter anderem Mitbegründerin des Off-Theaters „Zum Westlichen Hirschen“, arbeitete bei Steven Spielbergs Shoah Foundation und war Künstlerische Leiterin der Jüdischen Kulturtage in Berlin.

INTERVIEW ROBERT MATTHIES

taz: Was erwartet uns am Montag bei der Veranstaltung der Vers- und Kaderschmiede und des „AK Bücherverbrennung – nie wieder?“ zum Jahrestag der Bücherverbrennung, Frau Altaras?

Adriana Altaras: Ich habe ein Buch geschrieben, eigentlich ein Sachbuch, aber es ist eher ein Roman, eine Biografie, irgendeine Mischung davon: „Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie“. Das Tolle am Montag ist, dass Gustav Peter Wöhler, Nina Petri und ich das gemeinsam als szenische Lesung machen. Und da wir alle einen großen Spieltrieb haben, wird das in Ansätzen auch gespielt werden. Ich habe schon Requisiten eingepackt, echte von meinem Vater, meiner Mutter, meiner Tante, alles Mögliche. Ich freue mich sehr, ich habe viele Lesungen gehabt und diesmal bin ich nicht allein.

In den letzten Jahren gab es mit Kevin Vennemanns Roman „Nahe Jedenew“ und Andres Veiels Theaterstück „Der Kick“ sehr niederschmetternde Texte. Bei Ihnen findet man jede Menge lakonischen und bitterbösen Witz. Welche Vorzüge hat Humor bei einem so ernsten Anlass wie dem Jahrestag der Bücherverbrennung?

Die allergrößten Vorzüge. Wenn Sie bittere Medizin schlucken und Sie schlucken sie auf Zucker, dann merken Sie es nicht. Genauso ist es mit dem Humor bei ernsten Themen auch. Wenn ich einen ganzen Abend machen würde über den Holocaust, ganz ernst – das ist kaum noch auszuhalten. Ich glaube, wenn man es so verpackt – wie es für mich im Leben ja auch ist, mit sehr schrecklichen Momenten und sehr heiteren Momenten –, dann können die anderen auch anders teilhaben. Und Teilhaben ist bei so einer Sache das Wichtigste.

Eine wichtige Rolle spielen in „Titos Brille“ all die Dinge, die Ihre Eltern Ihnen nach deren Tod hinterlassen haben: Fotos, Ausweise, Briefe. Sie schreiben: „Statt Geschichtsunterricht sollte man Wohnungsauflösungen als Pflichtfach einführen.“ Hat sich Ihr Leben dadurch verändert?

„Wir sind keine Opfer, wir sind Kinder von Überlebenden“

Das hat mein Leben enorm verändert. Ich habe selbst totale Angst, alles zu sammeln, und denke immer, ich müsste möglichst schnell alles aufräumen, damit meine Kinder nicht dasselbe Problem haben werden. Mir graut davor. Meine Tante hat viel übernommen, sie ist 92 und die Wohnung ist vollgemüllt. Es hat mich aber auch insofern verändert, weil ich sehr viele Dinge gelesen und erfahren habe, die ich noch nicht wusste. Es hat meinen Blick auf Details geschärft, die in der Wahrnehmung von Menschen wie meinen Eltern, die jetzt eben schon tot sind, sehr viel verändern können.

Es steckt nicht nur viel Humor in Ihrem Buch, sondern auch viel Hoffnung, was das Verhältnis von Deutschen und Juden angeht.

Die Hoffnung gründet sich darauf, dass ich ja kein Opfer bin, das muss man immer sagen. Wir sind keine Opfer, wir sind Kinder von Überlebenden. Und die anderen sind auch keine Täter, das macht die Begegnung komplett anders. Wir können uns anders in die Augen schauen, weil wir nicht so in Mitleidenschaft gezogen sind. Die Hoffnung beginnt schon bei mir, und in der nächsten Generation wird es noch sehr viel mehr so sein.

Hat sich etwas verändert in Deutschland?

■ „Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie“ (KiWi, 263 S., 18,99) ist Adriana Altaras’ erster Roman. Darin verbindet sie episodisch und mit viel Humor ihr unorthodox-chaotisches Familienleben mit der Geschichte ihrer Eltern: Vater Jakob Altaras überlebte die Shoah in Italien, kämpfte mit Titos Partisanen, war später Professor für Radiologie in Gießen. Gemeinsam mit Mutter Thea Altaras, Architektin, gründete er die Jüdische Gemeinde Gießen neu und baute die Synagoge wieder auf.

Unbedingt. Man muss zu Deutschland auch mal etwas Positives sagen. Es hat viel probiert und versucht. Nicht alle Versuche waren gut, aber zumindest gibt es sie. Wenn Sie in anderen Ländern schauen, dort gibt es überhaupt gar keine Versuche der Aufarbeitung. Die Schweiz ist komplett zurückgeblieben, was das betrifft, Österreich, Frankreich, absurd.

Das sehen andere nicht so. Sie erzählen von Ihrem Freund Raffi, der nur Liebschaften mit Jüdinnen haben will, überall Antisemitismus wittert und immerzu davon spricht, bald nach Israel auszuwandern.

Er ist immer noch in Deutschland, das ist doch klar. Es wäre auch ein Fehler, wenn er gehen würde. Dann gäbe es keinen nörgelnden Juden in der Form mehr. Es ist anstrengend für alle Beteiligten, für ihn und für alle anderen auch, aber er hat auch etwas, was mir fehlt, ich bin nicht so. Es ist ein bisschen Mahnung, es ist ein bisschen auch Ironie. So sieht er es eben.

■ Mo, 21. 5., 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45