bücher für randgruppen: die österreichische ethnologin eva fels sucht in indien nach dem dritten geschlecht
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Stolz vermeldete die isländische Ärztekammer vor einigen Jahren, dass nun endlich ein einheimischer Arzt operative Geschlechtsumwandlungen im Lande durchführen könne. Transsexuelle müssten also nicht mehr nach Schweden fahren. Während also hier der Stolz einer kleinen Nation sichtbar wurde, all das realisieren zu können, was auch die Großen tun, interessiert sich die österreichische Ethnologin Eva Fels für Alternativen, die eher den Gedanken „Jedem seine Geschlechter“ von Deleuze und Guattari berühren. Die transsexuelle Autorin bevorzugt dabei den Begriff „Transgender“.

In der Art eines Reisetagebuches erforscht sie nun auf einer Indienreise weitere existierende Möglichkeiten neben dem Entweder-oder: entweder Mann oder Frau, homosexuell oder heterosexuell. Dass der indische Grenzbeamte bei der Einreise das Formular akzeptiert, in dem sie statt „männlich“ oder „weiblich“ das Wort „sex“ ankreuzt, gehört zu ihren ersten Erfahrungen.

Eva Fels besonderes Interesse aber gilt den Hijras, einer sozial-religiösen Organisation der Transvestiten- und Eunuchengemeinde. Da sie keine „echten Männer und keine echten Frauen“ sind, stellen sie nur eine halbe Kaste dar.

Während geborene Hermaphroditen als Khasuas bezeichnet werden, sind Hijras Männer, deren Geschlechtsorgane operativ entfernt wurden – ob immer freiwillig, bleibt unklar. Bezüglich des Wahrheitsgehaltes der durch die Medien geisternden Geschichten von brutaler Zwangskastrationen scheint auch Fels unschlüssig. So scheinbar frei von Geschlechtszuordnungen die Europäerin nach Indien einreisen konnte, so unmöglich bleibt umgekehrt die Reise einer Hijra nach Europa. Ein Visum wird nicht ausgestellt, weil er/sie als Geschlecht weder Mann noch Frau angibt; die kürzeste Schlange hinter dem Schalter in Indien entpuppt sich nicht etwa als die von „Ladies only“, sondern die von „Tourists“. Es gibt wenig Ähnlichkeiten zwischen den Rollen, die mögliche Geschlechter in der Gesellschaft spielen dürfen – in der indischen wie westlichen. In einer schwulen Selbsthilfegruppe erfährt Fels, dass den Hijras statt Hormonen vor allem die Göttin hilft.

Die Klage eines indischen Mannes, seine Eltern würden ihn umbringen, wüssten sie über seine Homosexualität, beantwortet Fels typisch westlich: Sein Problem sei, dass er „nur zu sich selbst stehen müsse“. Lediglich in der Abgrenzung scheint Gemeinsames auf: Drag Queens würden weder in Indien noch in Österreich von den Transgender-Aktivisten akzeptiert. Dafür gelten Indianer als authentisch, und tatsächlich taucht ein „echter Indianer“ auf: in einer Schwitzhütte in Oberösterreich, wo zur Selbstfindung Männer und Frauen separat schwitzen. Angeregt plaudert Fels mit einem Banja-Baum östlich von Bangalore mit der Folge, sich immer wieder kontrollieren zu müssen, um ihre „sexuelle Erregung zu unterdrücken“.

Da ist sie, die bekannte Sehnsucht des westlichen Individuums nach der verlorenen Gesamtheit und hemmungslosen Ekstase – also nach dem, was immer gern in den ehemaligen Kolonien, in der Fremde gesucht und verortet wurde.

Endlich kommt das ersehnte Zusammentreffen mit den Hijras zustande. Deren unbedingte Authentizität steht außer Frage für Eva Fels, die als Gegenbild auf die „extravagante Effimination der Drag Queens“ verweist, die ihnen eine „wertkonservative Identitätsfindung“ ermögliche. So lockt der seit Generationen gepflegte Familienverband der Hijras, die einerseits erwünscht sind, denn ihr Segen für Neugeborene gilt als Heil bringend, und die doch andererseits die totalen Outlaws darstellen, verlassen und verachtet, ihren Lebenserwerb meist mit Prostitution verdienend. Nur eines scheint völlig gleich: das schmerzhafte Epilieren der Barthaare – im Westen wie in Indien. WOLFGANG MÜLLER

Eva Fels: „Auf der Suche nach dem dritten Geschlecht“. Promedia, Wien 2005, 304 Seiten, 19,90 Euro