„Wir haben alle Fehler gemacht“

Biodeutsche im weißen Ghetto: Die taz-Diskussion über das Zusammenleben von Deutschen und MigrantInnen lockte 120 ZuhörerInnen in die „multikulturelle Stadtlandschaft“ in Duisburg

AUS DUISBURGANNIKA JOERES

Biodeutsche sind gerne unter sich. MigrantInnen sollen lieber draußen bleiben, meinen PassantInnen im Kölner Stadtteil Lindenthal. Im Film „Weiße Ghettos“ werden sie als „Urdeutsche oder Biodeutsche“ bezeichnet. Miltiadis Oulios von der Kölner Anti-Rassismus-Initiative „kanak attak“ gab mit seinem ironischen Film über „weiße Ghettos“ die Tonlage der zweistündigen Diskussion im Duisburger Kulturbunker vor. „Alle für sich? Multikulturelle Stadtlandschaften im Revier“ hieß die Veranstaltung der taz nrw. „Klar gibt es Parallelgesellschaften,“ sagt Oulios. Für ihn verläuft die Trennlinie aber nicht zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. „Die Reichen, die die Früchte des Bildungssystems unter sich verteilen, bleiben auch unter sich.“ Im weißen Ghetto eben.

Ein weißes Ghetto ist Bruckhausen, der Ort der Diskussion, bestimmt nicht – in dem Duisburger Stadtteil leben 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Streetworkerin Monika Jonischkat kann von Erfolgen berichten. Früher habe sie nur mit deutschen Kindern gearbeitet, heute habe sie eine gemischte Gruppe. „Auch als Biodeutsche“, lacht sie. Das Etikett „Migrant“ würde viele Jugendliche nerven. „Sie machen Hip-Hop und wollen als Künstler anerkannt werden, nicht als Migranten-Künstler.“ Gerade Fördermittel gebe es aber nur auf dem Migranten-Ticket.

Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland will auf dem Podium seine CDU-Herkunft am liebsten vergessen. „Ich bin einfach Bürgermeister“, sagt er. Und gibt zu: „In der Vergangenheit haben alle Fehler gemacht, wir wussten viel zu wenig über die Migranten.“ Leider würde nicht mit den Migranten, sondern nur über sie an den Stammtischen gesprochen. Seit September vergangenen Jahres im Amt, will Sauerland vieles anders machen. Dies ist auch dringend notwendig, sagt Ursula Boos-Nünning. Die Pädagogik-Professorin forscht über die Bildungssituation von MigrantInnen. „Das deutsche System zerstört ihre Potenziale.“ Statt die Zweisprachigkeit zu fördern, hätten die Deutschen immer Angst, ihrer Muttersprache zu schaden. „Wir haben eine Bildungskatastrophe“, sagt sie. Schulen mit hohem Ausländeranteil hätten ein miserables Image, niemand wolle sie besuchen. Ihr Rezept: Diese Bildungseinrichtungen müssten schöner sein als andere. „Sie brauchen Kunst und speziell ausgebildete Lehrer,“ sagt die Ex-Direktorin der Uni Duisburg-Essen. „Ich fordere das nicht aus Mitgefühl, sondern aus Eigeninteresse für die Deutschen.“ Das sind für Boos-Nünning alle hier lebenden Menschen – für den Staat allerdings nur Menschen mit deutschem Pass.

„Warum können Menschen, die jahrelang hier leben, nicht Deutsche sein?“, fragt ein Zuschauer. Oberbürgermeister Sauerland wird dann doch zum CDUler und verteidigt das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft. „Wenn sie 1.500 Euro Schulden oder mehr beim Staat haben, können sie eben nicht Deutscher werden.“ Nach dieser Logik, so Moderatorin und taz nrw-Redakteurin Natalie Wiesmann, müssten viele Deutsche ausgebürgert werden.

Oulios kann es nicht fassen, dass den MigrantInnen Bürgerrechte vorenthalten werden. „Sie sollen arbeiten, aber nicht wählen.“ CDU-Mann Sauerland hat seine eigene Erklärung. „Sie haben doch die Wahl: MigrantInnen können sagen, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft nicht wollen.“ Die 120 ZuschauerInnen lachen nur. „Wie können sie als Politiker das Wahlrecht so runterreden?“, fragt Oulios. Er fordert, eine Million MigrantInnen in Nordrhein-Westfalen einzubürgern. „Wir haben doch schon 17 Millionen Ostdeutsche aufgenommen.“