Zeitzeugen sind besser als ihr Ruf

Die Anderen: Ein neues Buch über Widerstand und Verfolgung im preußischen Harburg und Wilhelmsburg setzt den Opfern des Nazi-Terrors ein würdiges Denkmal

„Nichts ist schlimmer für die Geschichtsschreibung als Zeitzeugen“: Dieses unter Historikern populäre Bonmot kann die Harburger Widerständler nicht meinen. Bereits wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung werden Martin Leuschel und Karl Karcz vor der linken Kneipe „Stadt Hannover“ von drei Nazis erschossen. Die Mörder des Kommunisten und des Sozialdemokraten werden zwar von der Polizei auf frischer Tat ertappt, von der Justiz aber schnell wieder auf freien Fuß gesetzt.

Harburg war 1933 eine typische Industriestadt. Das Kapital, mit dem die Phoenix AG und andere Industriebetriebe im 19. Jahrhundert gegründet worden waren, stammte von Hamburger Reedern und Kaufleuten, die Arbeiter aus dem österreichischen Kaiserreich und aus Polen. In der bis 1937 selbständigen preußischen Stadt Harburg-Wilhelmsburg blieben die Nazis eine Minderheit. Bei der letzten freien Wahl im November 1932 wählten nur 24,8 Prozent die NSDAP, und selbst bei der ersten Terrorwahl nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren es gerade mal 34,8 Prozent. Die Mehrheit im proletarischen Harburg wählte rot.

In den ersten Monaten trat der Widerstand manchmal noch offen auf, einem Aufmarsch der SA zum Schwarzenberg stellten sich Nazi-Gegner mit Sprechchören in den Weg. In fast allen größeren Betrieben wehrten sich illegale Gruppen, in Wilhelmsburg gab es sogar bewaffnete Aktionen der Antifaschisten. Kirchliche Kreise wurden von der Gestapo observiert, auch in der Justiz gab es Widerständler. Der von Reichsinnenminister Frick (NSDAP) abgesetzte Harburger Polizeipräsident Danehl, ein Sozialdemokrat, ließ zuvor alle Akten über Kommunisten vernichten.

Im Buch „Die Anderen“ der Historiker Christian Gotthardt und Hans-Joachim Meyer folgen viele Episoden, die auch die aktuellen Diskussionen um Götz Aly oder Daniel Goldhagen beleben, und eine Kritik an der eigenen Zunft. Forschungen der Autoren in der seinerzeit zuständigen Staatsanwaltschaft Stade bestätigen frühere Aussagen der Nazi-Gegner: Zeitzeugen sind besser als ihr Ruf.

Den „Anderen“ und den Opfern der Nazis, von Juden bis zu Sinti und Roma, setzt das sorgfältig editierte Werk mit umfassendem Anhang ein würdiges Denkmal und uns – man entschuldige – verschafft es ein aufregendes Lesevergnügen.

Hermannus Pfeiffer

Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V. (VVN-BdA): Die Anderen – Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg. Zeugnisse und Berichte 1933–1945. 368 Seiten, viele Fotos und Dokumente, 13 Euro. Erhältlich in der Buchhandlung Stein (Harburg) oder per Postversand (ohne Versandkosten): ☎ (040) 35 01 75 41 oder per E-Mail: aj@fraujansen.de.