Alibi Dieselruß

Die Feinstaub-Diskussion wird völlig falsch geführt – sagt Chemie-Experte Michael Braungart

Nein, gegen den Dieselrußfilter sei er nicht, sagt Michael Braungart. „Da ist wohl ein falscher Eindruck geweckt worden.“ So war’s: Als im Frühjahr alles über Feinstaub-Alarm sprach, wurde der Chemieprofessor aus Lüneburg mit dem sachdienlichen Hinweis zitiert, dass die Abgase der Dieselfahrzeuge nur für zehn Prozent des Feinstaubproblems verantwortlich seien. Ein Votum gegen das Gerät? Von Michael Braungart, der als Greenpeace-Aktivist in den 1980ern alle wichtigen Chemie-Schornsteine Deutschlands bestiegen hat? Dem Gründer des Hamburger Umwelt-Instituts? Unmöglich. Braungart kann nicht gegen Dieselrußfilter sein.

Ist er auch nicht. „Dieselrußfilter sind eine Selbstverständlichkeit“, findet er. Was ihn störe sei „die deutsche Alibi-Debatte“ darüber. Steuererleichterungen als Anreiz für die neue Technologie? „Das hieße, jemandem Geld für unterlassene Körperverletzung zu geben.“

Alibi-Debatten führen zu Pseudo-Lösungen. Dabei sind die Probleme echt. Beispiel Autoreifen. Als deren längere Haltbarkeit Vorschrift wurde, hielten das viele für einen tollen Fortschritt. Braungart nicht: „Jetzt ist der Reifenabrieb so feinteilig, dass er nicht mehr sedimentiert.“ Es liegt was in der Luft: Latex-Partikelchen. In den Atem-Organen setzen sie sich fest. Die Folge: Eine Art Dauerentzündung der Lunge. In den USA hätten schon 10 Prozent der Bevölkerung eine Latex-Allergie, „und das liegt sicher nicht an der Verwendung von Kondomen.“

Ein ziemlich kämpferischer Typ, dieser Braungart, noch immer. Einer, den es nervt, dass die Umwelt-Problematik plötzlich durch Job-Ängste von der Tagesordnung verdrängt wird. Und der sich aufregt über Bundespräsidenten-Worte: Im März hatte Horst Köhler gefordert, alles, alles der Schaffung von Arbeitsplätzen unterzuordnen. Nun gut: Feinstaub ist ein exzellenter Job-Motor. „Asthma schafft Arbeitsplätze ohne Ende“, sagt Braungart.

Das, worum es gehen müsste, ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Vielleicht war das auch das Ziel der EU-Feinstaub-Richtlinienverfasser. Nur haben sie’s aus den Augen verloren: „Verschiedene Arten von Partikeln“, heißt es in dem Dokument, „können sich auf unterschiedliche Weise schädlich auf die menschliche Gesundheit auswirken.“ Richtig – und am schädlichsten sind die kleinsten, die kleiner sind als 2,5 Mikrometer. Nur: In der Richtlinie spielen die keine Rolle. Die erfasst Wüstensand, niedersächsische Boden-Erosion und Dieselruß – eben Stäube der Größenklasse 2,5 bis 10 Mikrometer. Der Grenzwert ist ein Sammelwert fürs ganze Feinstaubspektrum, die Maßeinheit: Gewicht pro Kubikmeter Luft. „Das ist völlig blödsinnig“, sagt Braungart. Wenn schon, dann wäre die Zahl der Partikel aussagekräftig. Aber was eigentlich geschehen müsste: „die Quellen festlegen“ für ein „gezieltes Luft-Management“. Einsetzen müsste das, wo Menschen tätig sind – Baustellen beispielsweise sind eine wichtige Feinstaub-Quelle. Oder Fabrikhallen. Oder Büros: In Innenräumen, weiß Braungart, ist die Feinstaub-Belastung rund fünfmal so hoch wie im Freien.

Gegen Staub drinnen wie draußen gäbe es prima Mittel: Grasdächer, Filter für Laserdrucker und für Staubsauger. Alles gar nicht so teuer. Aber wirksam, wenn man das Problem wirklich bekämpfen will. Dafür scheint die EU nicht ganz den richtigen Ansatz gefunden zu haben: „Luft“, definiert die Richtlinie 1999/30/EG, sei „die Außenluft der Troposphäre“. Und zwar „mit Ausnahme der Luft an Arbeitsplätzen.“  Benno Schirrmeister