Baustelle Grundschule

Den Grundschulen stehen große Reformen bevor. Eine Woche vor den Ferien aber herrscht vielerorts Ratlosigkeit, wie sie umgesetzt werden sollen. Zwei Erfahrungsberichte. Von SABINE AM ORDE

Eigentlich ist sie eine gestandene Schulleiterin. Wenn Probleme auftauchen, sucht sie nach einer Lösung – und findet diese meist auch. Doch wenn man mit ihr über das kommende Schuljahr spricht, schleicht sich dieses merkwürdige Lächeln in ihr Gesicht. Ein Lächeln, das Verzweiflung und Resignation ausdrückt. Und dazu eine Menge Ärger. „Zum neuen Schuljahr werden wir vor allem improvisieren müssen“, sagt die Pädagogin dann. „Aber zu viel improvisieren sollten Schulen nicht.“

Den Namen der Schulleiterin wollen wir hier nicht nennen, auch den ihrer Schule nicht. Denn Bildungssenator Klaus Böger (SPD) hat einen Maulkorb verhängt – und wer sich daran nicht hält, dem droht ein Disziplinarverfahren. Schulleiter dürfen sich, so steht es in einem entsprechenden Rundschreiben des Senators, gegenüber den Medien nur noch zu Themen äußern, „die ausschließlich in den eigenen Verantwortungsbereich fallen“. Schlecht vorbereitete Reformen gehören dazu nicht.

Ab 1. August sind die Grundschulen für die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder zuständig. Dafür müssen landesweit 33.000 Plätze von den Horten und Schülerläden an die Grundschulen verlagert werden. Die Kreuzberger Grundschule, um die es hier geht, hat knapp 400 SchülerInnen, für 140 von ihnen hat der Bezirk die Nachmittagsbetreuung an der Grundschule genehmigt. In den kommenden Jahren, wenn die umliegenden Schülerläden nach und nach dichtmachen werden, wird die Anzahl der Kinder weiter steigen.

Platz für das Freizeitprogramm am Nachmittag gibt es im Vorderhaus und in einem Nebengebäude, hier war bislang die Kita eines freien Trägers untergebracht. Für die Schulkinder muss umgebaut werden, doch begonnen haben die Baumaßnahmen noch nicht. Das wird erst am 1. Juli der Fall sein. „Die Bauarbeiten werden sich mindestens bis September hinziehen“, sagt die Schulleiterin. „Wir werden also auf einer Baustelle arbeiten.“ Auch die Möbel kommen erst Anfang August. Besonders für die Schulanfänger, so die Pädagogin, sei das eine Zumutung. Dabei ist ihre Schule damit noch vergleichsweise gut dran. Andere haben auf dem Grundstück weder Räumlichkeiten noch Platz für Neubauten.

Bislang waren in den Räumen, die dann zur Verfügung stehen werden, 120 Kitakinder untergebracht; nach Planung des Bezirks reicht der Platz für bis zu 220 Grundschulkids. Das Argument: Für ihre Nachmittagsgestaltung könnten die Schulräume mit genutzt werden. Für Aula und Werkräume stimme das sicherlich, sagt die Schulleiterin. Aber eine Doppelnutzung von Klassenräumen lehnt sie wie die meisten anderen PädagogInnen strikt ab. Ihr Fazit: Für eine gute pädagogische Arbeit sei viel zu wenig Platz.

Probleme gibt es auch beim Personal. Erst seit letzter Woche weiß die Schulleiterin, welche fünf Erzieherinnen der Bezirk ihr zusätzlich für den Nachmittag zur Verfügung stellt. Eigentlich hätten LehrerInnen und ErzieherInnen längst gemeinsam ein Konzept für den offenen Ganztagsbetrieb (OGB), wie die Nachmittagsbetreuung im Fachjargon heißt, entwickeln sollen. Es gibt hier sogar eine Arbeitsgruppe mit Eltern, LehrerInnen und den ErzieherInnen, die schon an der Schule arbeiten. „Aber bei den vielen organisatorischen Stolpersteinen ist uns das pädagogische Konzept weggerutscht“, sagt die Schulleiterin. Auch für die künftige Kooperation zwischen LehrerInnen und ErzieherInnen sieht sie schwarz: Bei der Personalausstattung bleibe dafür kaum Zeit. Wenn aber alle weitermachen wie bisher, geht es nicht voran.

Rein rechnerisch soll beim OGB eine Erzieherin für 22 Kinder zuständig sein. Weil die Schulen auch die Betreuung am frühen Morgen und am späten Nachmittag organisieren müssen, wenn weniger Kinder da sind, wird dieser Schlüssel für die Kernzeit von 13.30 bis 16 Uhr nicht gelten. Wenn also die meisten Kinder anwesend sind, wird es besonders wenig Personal geben. „Dann“, sagt die Schulleiterin „geht es nicht um Förderung, sondern nur um Beaufsichtigung.“

Lehrerinnen und Sonderpädagoginnen, Vorklassenleiterinnen und Erzieherinnen einer Kreuzberger Grundschule haben sich zusammengetan. Weil sie zum kommenden Schuljahr besonders für ihre Erstklässler eine massive Verschlechterung befürchten, sind sie an die taz herangetreten. Der Grund: Im kommenden Schuljahr wird an den hiesigen Grundschulen die flexible Schulanfangsphase eingeführt, wie es kompliziert im Fachjargon heißt. Diese Phase können die Kinder in ein, zwei oder drei Jahre durchlaufen – ganz nach individuellen Fähigkeiten. Egal wie lang sie brauchen, danach besuchen sie die dritte Klasse. So sollen die Kinder im jahrgangsübergreifenden Unterricht individuell gefördert werden.

„Die Idee ist gut, etwas sehr Ähnliches praktizieren wir an unserer Schule seit vielen Jahren“, sagt eine der Grundschullehrerinnen. „Aber sie darf nicht zum Sparen missbraucht werden.“ Ihre Namen wollen sie und ihre Kolleginnen nicht in der Zeitung lesen. Weil Bildungssenator Klaus Böger (SPD) öffentliche Äußerungen von LehrerInnen untersagt hat, befürchten sie ein Disziplinarverfahren. Deshalb haben sie zum Treffen in eine Kreuzberger Wohnung geladen, zum Kaffee gibt es Hefezopf.

Nach Einschätzung der Pädagoginnen wird sich die Situation der Erstklässler durch diese Reform verschlechtern: Denn sie sei finanziell nicht ausreichend ausgestattet. Während jetzt der Unterricht in der ersten Klasse stets doppelt gesteckt sei, also zwei Pädagoginnen in einer Klasse sind, sei künftig nur eine Lehrerin anwesend.

An ihrer Schule gibt es die so genannte Eingangsstufe; Vorklassen und erste Klassen sind darin zusammengefasst. 28 bis 30 Kinder sind in einer solchen Gruppe, betreut werden sie von je einer Lehrerin und einer Vorklassenleiterin. Das ist eine Erzieherin, manchmal auch eine Sozialpädagogin, die eine Zusatzausbildung hat. Die Gruppe wird häufig aufgeteilt, ihr stehen zwei Klassenräume zur Verfügung. Eine Pädagogin ist dann für 15 Kinder zuständig. Manchmal kommt noch eine Sonderpädagogin hinzu. „Kleingruppen und individuelle Betreuung sind für unsere Kinder sehr wichtig“, sagt eine Vorklassenleiterin. Die Kinder, die selten aus solchen Familien kommen, die man im Fachjargon bildungsnah nennt, brauchen „Zuspruch und Anleitung“. Künftig, befürchtet die Pädagogin, wird das viel weniger möglich sein.

Ab kommendem Schuljahr sind die Vorklassen an den Grundschulen abgeschafft. Für die vorschulische Bildung, so Senator Bögers Plan, sind künftig allein die Kitas zuständig. Die Vorklassenleiterinnen, also jene Erzieherinnen oder Sozialpädagoginnen mit Zusatzqualifikation, werden künftig wie andere Erzieherinnen eingesetzt. Unterrichten dürfen sie nicht.

Gleichzeitig hat die rot-rote Koalition das Einschulungsalter vorverlegt: Jetzt kommen bereits Fünfeinhalbjährige in die Schule. „Das sind Kinder, mit denen wir gar keine Erfahrung haben“, sagt eine Grundschullehrerin. Ein halbes oder ein ganzes Jahr mache in diesem Alter viel aus. Sie und ihre KollegInnen hätten sich die weitere gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den Vorklassenleiterinnen gewünscht. Die aber wird es nicht geben.

Weil gleichzeitig die Zuschläge für die Sonderpädagogen gekürzt werden, befürchten die Grundschullehrerinnen, dass sie künftig allein in den Klassen der Schulanfangsphase sind. „Allein kann ich aber nicht 25 Kinder da abholen, wo sie stehen“, so eine Lehrerin, die im August eine erste Klasse übernimmt. Wenn dann ein schwieriges Kind in der Klasse sei, könne dieses den ganzen Unterricht aufmischen. Fünfeinhalbjährige, ergänzt die Vorklassenleiterin und nimmt einen Schluck Kaffee, seien zudem mit der Masse der Kinder in einer solchen Gruppe überfordert. „Sie brauchen Rückzugsmöglichkeiten.“

Insgesamt, so das Fazit der Pädagoginnen, drohe den Grundschulen eine enorme Verschlechterung. „Dabei“, sagt eine der Lehrerinnen, „brauchen gerade die Schulen in den Innenstadtbezirken endlich mehr Unterstützung als bisher.“