„Die Berge liegen aber im Süden“

Was machen deutsche Stockwanderer in der Emilia Romagna? Southern Beach Walking! Italien auf der Suche nach neuen Reiseanreizen und ruhigeren Gefilden, jenseits der Vergnügungsindustrie von Rimini

von BEATE WILLMS

Es sieht einfach aus. Und schwer zu begreifen ist die Technik tatsächlich nicht: aufrechter Gang, langer Arm, flacher Stock, angepasster Schritt. Kurz und rhythmisch: A-l-f-a. So lautet das Mantra der Nordic Walker. Aber wieso nordisch? Am Lido di Spina am südlichen Ende der Provinz Ferrara in der Emilia Romagna schieben sich die Walkerinnen mit ihren Stöcken unter brütender Sonne über festen Sand oder barfuß durchs flache Adriawasser. „Das hier ist Southern Beach Walking“, sagt Claudia Valentini vom Fremdenverkehrsamt APT Servizi Emilia Romagna. Die 30-Jährige hat den Begriff geprägt und würde ihn gern zu einer Marke für die Region machen.

Georg Sobbe hat sie damit schon gewonnen. Der deutsche Einwanderer und Fremdenführer für Ferrara bevorzugt einen „langsamen Tourismus“. Touren für Vogelliebhaber und Naturfreunde durchs Po-Delta oder Radwanderungen auf den Dämmen entlang den Flussarmen. „Von den Lidi di Comacchio bis nach Cattolica sind die Strände so breit, dass man vor allem im Frühjahr und im Herbst stundenlang laufen kann“, sagt er.

Die Emilia Romagna ringt um ein neues Konzept. Lange vorbei sind die Glanztage von Rimini, als die Petticoat- und Käfer-Generation die Adriastadt zu ihrem Lieblingsziel ausrief. Und auch die Zeiten, in denen Deutsche, Franzosen, Schweizer und Briten die italienische Küche mit Schinken aus Parma oder Balsamico-Essig aus Modena erst noch entdecken mussten und deshalb mit Begeisterung durchs Hinterland tourten. Geblieben sind rund 5.000 Hotels, davon 1.400 und eine grandiose Vergnügungsindustrie direkt in Rimini, tausende Ferienwohnungen, etliche Landgasthäuser – und immer mehr leere Betten.

Dabei geht es der Region zwischen dem Po im Norden, den Bergen des Apennin im Westen und Süden sowie 131 Kilometern Adriaküste im Osten wirtschaftlich gut: Die Emilia Romagna verfügt nach der Lombardei und Treniona Alto Adige über das dritthöchste Pro-Kopf-Einkommen in Italien und gehört zu den 20 stärksten Regionen der Europäischen Union. Die Wirtschaft ist von mittelständischen Strukturen geprägt, vor allem in der Provinz Bologna blüht das Genossenschaftswesen. Hergestellt werden hier vor allem klassische Gebrauchsgüter wie Lebensmittel, Bekleidung, Lederwaren und Möbel. Die Arbeitslosigkeit ist gering, nur bei den bis 25-Jährigen steigt sie seit einigen Jahren wieder. Aber im Sommer kommen immer noch viele Arbeitskräfte aus dem ärmeren Süden hierher, um über die Ferienmonate in der Gastronomie, den Hotels oder auch als Busfahrer Geld für den Rest des Jahres zu verdienen – auch ein Grund, den Tourismus anzukurbeln, meint Valentini. Dabei geht es gar nicht um Massentourismus, für den es außerhalb von Rimini auch kaum Struktur gibt – die Hotels in den kleineren Küstenstädten und im Hinterland sind eher familiär.

Trotzdem lässt es sich nicht leugnen: Die Zahl der Touristen geht kontinuierlich zurück. Und es sind vor allem die ausländischen Gäste, die ausbleiben, im vergangenen Jahr gab es ein Minus von fast 20, bei den deutschen Urlaubern sogar von 30 Prozent. „Billige Reisen nach Fernost oder jetzt nach Osteuropa laufen uns den Rang ab“, meint Valentini. „Wer kommt im Urlaub hierher, wenn er für das gleiche oder weniger Geld nach Thailand fliegen kann?“ In den letzten Jahren hatte die italienische Tourismusindustrie vor allem mit den All-inclusive-Angeboten der Fernreise-Anbieter zu kämpfen, die oft zu Dumpingpreisen auf den Markt kommen. „Italien gilt als teuer“, so Valentini. Dabei haben sich die Hotels längst angepasst: Doppelzimmer mit Vollpension, manchmal auch all-inclusive, sind in der Nebensaison für insgesamt 60 Euro zu bekommen, in der Hauptsaison kosten sie das Doppelte. Aber auch Espressi und Latte Macchiati sind durchgängig deutlich günstiger als in Deutschland.

Valentini will ein Gesamtkonzept, das der ganzen Region nützt. Denn dass die Touristen ausbleiben, hat auch zwischen den Provinzen der Emilia Romagna zu einem harten Konkurrenzkampf geführt, in dem es etwa die Provinz Ferrara schwer hat. Sie beginnt ein Stück nördlich von Rimini, wo der Strand wegen des Po-Deltas „problematischer“ ist, wie Fremdenführer Sobbe sagt. Bei Hochwasser spült Italiens längster Fluss Geröll und Dreck ins Meer, das dann an die angrenzenden Lidi angeschwemmt wird. Sie müssen öfter und intensiver gereinigt werden.

Fitnessurlaub könnte der einigende Nenner sein, hofft Valentini. Im rummeligeren Rimini findet seit 17 Jahren jeweils im Juni oder Juli das Festival del Fitness statt, eine Mischung aus Messe und Event, die regelmäßig knapp eine halbe Million Besucher anzieht – für 20 Euro Eintritt kann man an allen neun Tagen an Kursen und Veranstaltungen teilnehmen und sich über die neuesten Trends informieren. Vor zwei Jahren versuchte ein Fitnessanbieter schon einmal, den Nordic-Walking-Hype zu nutzen, und rief zum Aqua-Walking auf. „Das ist heute allerdings kein Thema mehr“, meint Veranstalter Luca Maria Ioli.

Mit der Inszenierung von Southern Beach Walking wird das anders sein, darauf setzt Regionalmanagerin Valentini. Schließlich sei das Stockwandern nicht nur beinahe überall möglich, sondern könne gerade in den ruhigeren Gefilden an der Küste, in den Naturparks oder um die Lagunen des Fischerdorfs Comacchio einen neuen Reiz bieten. Den italienischen Urlaubern allerdings ist das Walken noch sehr suspekt. Wer in perfekter A-l-f-a-Technik an sonnenbadenden Einheimischen vorbeizieht, muss sich auf freundliche Fragen wie „Haben Sie sich verlaufen?“ oder ebenso hilfreiche Hinweise wie „Die Berge liegen aber viel weiter im Süden“ gefasst machen.