Der Fuchs im Einkaufszentrum

Ist ein Happy End zwischen Mensch und Tier möglich? Damit es gelingt, schreibt ein Fuchs einen Brief im Deutschen Theater

Von Michael Wolf

Der Bär mag einen Ehrenplatz auf dem Wappen einnehmen, doch fehlt ihm die Präsenz, um auch die Herzen der Berliner zu erreichen. Der tierische Star der Stadt ist schon lange der Fuchs. Begegnungen mit ihm gehören zum Alltag und entlocken gleichwohl zuverlässig ein aufgeregtes „Guck mal!“. Auch auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters sah man zuletzt immer wieder zwei Stadtfüchse. Zu Beginn der Aufführung von „Fuchs 8“ wird der Text einer E-Mail eingespielt, in der die Technische Direktion die Mitarbeiter beruhigt, dass keine Gefahr von den Tieren ausgehe und dass sie nicht versuchen würden, ins Haus zu kommen.

Doch das kann nicht stimmen, denn da sitzt doch tatsächlich ein Fuchs in der „Box“ genannten kleinsten Spielstätte des Theaters. Linn Reusse trägt eine zottelige Maske über dem Gesicht und hat ein Tablet auf dem Schoß. „Haloh zusammen. Schöhn das ir da said“, schreibt sie, und der Text erscheint auf der Rückwand der Bühne. Sogleich folgt eine Entschuldigung für die Fehler. Zwar habe „Fuchs 8“ es geschafft, die wunderbare Sprache der Menschen, das „Mänschisch“, zu lernen, doch hapere es noch mit der Rechtschreibung.

Gemeinsam mit ihrem Ensemblekollegen Marcel Kohler, der nicht mit auf der Bühne steht, und dem Gitarristen Christoph Bernewitz hat Reusse eine Fabel des US-amerikanischen Autors George Saunders adaptiert. Das Rudel des titelgebenden Fuchses wird darin seiner Heimat beraubt, die Menschen zerstören ihren Wald, bauen ein Einkaufszentrum und einen riesigen Parkplatz. Um seine Freunde vor dem Verhungern zu retten, beschließt der Held, auf die Menschen zuzugehen. Mit einem Freund betritt er das Einkaufszentrum und sammelt Nahrung auf dessen Fressmeile.

Reusse nimmt das Publikum schnell ein für ihre Figur. Sie plaudert freudig drauflos, wispert später ängstlich und besingt schmerzlich schön ihre Trauer. Auf der Bühnenrückwand erscheinen dazu liebevoll gestaltete Zeichnungen, die Reusse mit ihrem Tablet in der Hand bespielt. Als die Menschen den Wald abholzen, kreuzt sie diesen mit roter Farbe durch, kritzelt dann verzweifelt das ganze Bild mit blutroten Strichen voll, bis kein einziger Baum mehr zu sehen ist.

Es ist nur halb eine Kindergeschichte, die sie hier in etwas mehr als einer Stunde erzählen, oder zumindest keine bequeme und leichte. Denn es kommt noch schlimmer. Auf dem Rückweg vom Einkaufszentrum jagen zwei Männer die Füchse und töten den Freund des Erzählers auf brutale Weise. Fuchs 8 kann entkommen, findet jedoch sein altes Rudel nicht wieder. Seit diesem Tag hält er Abstand von Häusern und Straßen. Erst als er Nachwuchs erwartet, sucht er wieder Kontakt zu den Menschen, denn er will wieder Hoffnung schöpfen. Also schreibt er ihnen einen Brief, in dem er von seinem Schicksal berichtet, und sie fragt, wie es möglich sei, dass sie einerseits so eine schöne Sprache sprechen und so tolle Sachen erfinden, doch zugleich so böse sein könnten?

„Wenn ihr wollt, dass eure Geschichten ein Happy End haben, seid einfach mal ein bisschen …“, sagt Reusse da zum Publikum und lässt das entscheidende Wort aus. Wie Menschen sein müssen, um sich richtig gegenüber (anderen) Tieren zu verhalten, das müssen sie selbst herausfinden. Man kann von einer geglückten Adaption sprechen.

Die Form des Briefs, deren sich das Original bedient, übertragen Reusse, Kohler und Bernewitz gekonnt ins Setting des Theaters, indem sie das Publikum direkt adressieren. So gelingt ihnen eine kluge, emotionale und anspruchsvolle Inszenierung. Kinder und Erwachsene gleichermaßen dürften, wenn sie wieder mal einen Fuchs in der Stadt entdecken, an diese Geschichte zurückdenken.

Wieder am 25. 2. und 14. 3.