wortwechsel
: Armes doofes Schland – Leh­re­r:in­nen fehlen? Ach.

Wenn Kultusministerien sich beraten lassen: Die Ex­per­t:in­nen wollen Teilzeitarbeit de facto verbieten, Ruheständler aus der Ruhe holen und mehr Bildschirmarbeit für Kinder. Reicht?

Schön aufgeräumtes, leeres Klassenzimmer – aus Lockdown-Zeiten während der Coronakrise. Vielleicht bald die neue Realität in „ganz normalen“ Zeiten? Foto: Michael Weber/imago

„Lehrkräfte sollen Vollzeit arbeiten. Die Ex­per­t*in­nen der Kultusministerkonferenz legen ihre Empfehlungen gegen den Lehrkräftemangel vor“,

taz vom 27. 1. 23

Das hatten wir schon!

Im Jahre 1964 wurden in Baden Württemberg Hausfrauen zur Aushilfe in Schulen eingesetzt. Es herrschte damals – Lehrer*innenmangel! In den letzten zehn Jahren geisterte so ziemlich alles an Vorschlägen durch die Lande, wie dem Mangel an Lehrkräften beizukommen wäre. Ich persönlich habe an einem Arbeitszeitmodell teilgenommen (Mehrstunden wurden später verrechnet), an Präsenzpflichten, Verpflichtungen zur Mehrarbeit (zur Aufarbeitung von Krankheitstagen) und die Änderung von Lehrplänen mitgestaltet. Keine dieser Maßnahmen hat wirklich etwas verändert, es blieb bei zu wenig Lehrkräften und Mehrarbeit für alle. Viele wurden ernsthaft krank und die genommenen Krankheitstage von vielen nahmen erschreckend zu. Am effizientesten für Lehrkräfte und für Schü­le­r*in­nen waren die Stunden, die Leh­re­r*in­nen freiwillig investierten und daraus sogar Lust und Laune aus ihrem Beruf zogen. Wolfgang Rauch, Kronau

Der Vorschlag besteht also darin, einer Berufsgruppe, die sich durch massive Selbstausbeutung und eine extrem hohe Burnoutquote auszeichnet, die letzte Möglichkeit zu nehmen, die Arbeitsbelastung auf ein den eigenen Belastungsgrenzen entsprechendes Niveau zu senken. Wo bleibt eigentlich der Vorschlag, Lehrer in den Ferien in Kitas einzusetzen, weil die ja sonst viel zu viel „Urlaub“ hätten?

MA26 auf taz.de

Wenn Lehrer_innen nicht mehr in Teilzeit arbeiten können, werde ich nicht mehr als Lehrerin arbeiten. Alke Matzat auf taz.de

Befehle für Beamte?

Was der Artikel nicht erwähnt: Sind LehrerInnen erst mal verbeamtet, können sie im Großen und Ganzen gezwungen werden, voll zu arbeiten. Das ist ein willkommener Nebeneffekt der Verbeamtung. Bei einer vollen Stelle haben Sie als Lehrkraft an einer weiterführenden Schule eher eine 50-Stunden-Woche, wenn Sie Ihre Arbeit gut machen. Cazzimma auf taz.de

Zu dem Ergebnis der Expertenkommission der Kultusminister fällt mir nur eine Frage ein: Ist dieses Papier nur zynisch oder tatsächlich menschenverachtend? Die einzige wirkliche Lösung des seit über 20 Jahren bestehenden Problems ist eine deutliche Erhöhung der Ausgaben für Bildung (mehr und besser bezahlte Stellen). Ich begreife nicht, wie irgendjemand in diesem Land glauben kann, dass Fachkräftemangel dadurch behoben werden kann, dass man eine akademisch gebildete Gruppe von Menschen, denen es nicht schwerfällt, in andere Berufe zu wechseln, zu Zwangsarbeit verpflichtet.

Eric Brünner, Karlsruhe

Dass uns der demografische Wandel goldene Brücken baut, ist eine groteske, weltfremde Vorstellung. Angesichts des jetzt schon immer weiter um sich greifenden Fachkräftemangels wird sich an der Bezahlung und dem Mangel vermutlich absehbar nichts Wesentliches ändern. Auch in anderen elementaren Bereichen herrscht schon heute ein massiver Mangel, der die Gravitas des Missmanagements der letzten Jahre verdeutlicht: Kindergärten, Stromnetz, Erneuerbare, Post, Müllabfuhr, Niedriglohnsektor, EU, Infrastruktur, Ungleichheit, Armut. Uns wird ein Scherbenhaufen unerledigter und bewusst geschaffener Probleme hinterlassen, den wir mit noch weniger Manpower aufkehren sollen. Joshua Landau, Urbach

Kämpf, Gewerkschaft!

Liebe taz, ihr berichtet von einer Reaktion meiner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die diese Entmotivierung für den potenziellen Lehrkräfte-Nachwuchs kritisiert, was der nötigen Lehramtsausbildungsoffensive doch eher schade. Ich verstehe nicht, warum meine GEW nicht offensiver an die Probleme herangeht. Der Leh­rer*­in­nen­man­gel bietet auch sehr viel aussichtsreichere Durchsetzungschancen für bessere Arbeitsbedingungen und pädagogische Konzepte als zu Zeiten der Lehrerschwemme. Nur deshalb haben sich inzwischen alle Bundesländer darauf verständigt, die Gehälter aller Grund-, Haupt- und Re­al­schul­leh­re­r*in­nen auf das Niveau der Gym­na­si­al­leh­re­r*in­nen anzuheben (eine unerfüllte Forderung seit gut 100 Jahren). Gegen die Empfehlungen der Ex­per­t*in­nen sollte die Bildungsgewerkschaft fordern, dass die Lehrkräfte nur noch so viel Unterricht in so stark verkleinerten Klassen geben, dass dabei vertretbare und produktive Lehr- und Lernprozesse möglich sind. Damit daraus nicht nur zusätzliche Einschränkungen für die Eltern entstehen, sollte der Ganztagsbereich mit kulturellen und sportlichen Angeboten sowie mit Schaffung von Selbsttätigkeitsbereichen deutlich ausgeweitet werden.

Hansjuergen Otto, Oldenburg

Die nächste Generation!

Ja, wir verdienen viel und haben vergleichsweise unfassbare Sicherheiten. Aber: Die meisten Lehrkräfte haben primär nicht deswegen diesen Beruf gewählt. Sie erziehen und bilden die nächste Generation, von der wir alle uns doch erhoffen, dass sie die drängenden Probleme dieser Welt lösen werde. Da sollte es im Interesse aller sein, dass diese Arbeit von qualifizierten, halbwegs ausgeruhten Menschen in guter Atmosphäre geschieht! Aber stattdessen schlägt die Kommission vor, Teilzeit zu verbieten und das Homeschooling aus den Coronalockdowns zum Alltag zu machen, obwohl es zu massiven Lernlücken und psychischen Schäden bei Jugendlichen geführt hat … Liebe taz, wo bleibt euer Aufschrei? Viele reduzieren ihre Arbeitszeit, um nicht im Burnout zu landen und 50-Stunden-Wochen zu vermeiden. Und weil sie selbst Kinder haben und nicht flexibel freinehmen können für Arztbesuche oder anderes. Bildung für morgen und übermorgen, die zu planen von der Politik so lange verschlafen wurde, muss ein großes Thema für eine bewusste und kritische Zeitung wie die taz werden! Signe Barschdorff, Hamburg