Die Ambivalenz der Modernen

Kulturpolitik Die Städtische Galerie widmet sich einem vernachlässigten Thema: Bremens „entarteten“ Künstlern. Deren Werke sind so spannend wie die Biographien

Von Henning Bleyl

Der bislang – mit Abstand! – einflussreichste Kurator zeitgenössischer Kunst in Deutschland stammt aus Bremen: Adolf Ziegler. Als Präsident der Reichskammer für Bildende Künste organisierte er 1937 die Wander-Ausstellung „Entartete Kunst“, die mit zwei Millionen mehr BesucherInnen hatte als einige „documenten“ zusammen. Als Maler wurde Ziegler durch seine „Vier Elemente“ berühmt, nordisch-cleanen Nackten, dem im „Dritten Reich“ am häufigsten reproduzierten Bild. Das Original hing bis 1945 über dem Kamin in Hitlers Münchner „Führerbau“, jetzt dominiert es den Eingang der Städtischen Galerie.

Zieglers Triptychon wirkt wie ein passender Gegenpol zum eigentlichen Thema der Ausstellung, die am Samstag (17 Uhr) beginnt: die 22 Bremer KünstlerInnen, deren Werke für die „Entartete Kunst“ beschlagnahmt wurden. Doch de facto sahen auch viele von ihnen Chancen für sich im „Dritten Reich“, über ein Viertel der „Verfemten“ war selbst in der Partei.

Carl Emil Uphoff etwa, dessen Buch über Bernhard Hoetger indiziert wurde, durchstreifte als Worpsweder „Ortswart der Gemeinschaft Kraft durch Freude“ seinerseits die lokalen Galerien, um über Ausstellungswürdigkeit oder „Entartung“ der Kollegen zu befinden. Hoetger wiederum, Schöpfer des Waller Denkmals für die Toten der Räterepublik, beteuerte 1936 unmissverständlich seine „bewundernde Einstellung für das neue Reich“. Diese sowohl biographische als auch ästhetisch-ideologische Ambivalenz vieler zeitgenössischer Künstler ist nichts Neues. Nichtsdestoweniger beeindruckt es, diesen Befund auf regionaler Ebene so flächendeckend durchdekliniert zu sehen. Umgekehrt mutierte selbst ein so eingefleischter Funktionär wie Ziegler, der schon früh zu Hitlers Münchner Connection gehörte, 1943 zum Kriegsgegner – und landete in Dachau.

Neben bekannten Namen wie Modersohn-Becker, Hoetger und Heckrott zeigt die überaus sehenswerte Schau völlig vergessene Künstler wie den Worpsweder Otto Tetjus Tügel, der bis zu seinem Berufsverbot regelmäßig in der Hamburger Kunsthalle ausstellte. 1945 wurde er zum Wachdienst im KZ-Auffanglager Sandbostel verpflichtet. Anschließend kam Tügel, ein Schöpfer hochexpressiver Porträts, nicht mehr auf die Beine und lebte in ärmlichsten Verhältnissen. „Die wenigsten der hier gezeigten Künstler haben sich von diesem Bruch in ihrer Karriere wieder erholt“, sagt Galerie-Direktor Hans-Joachim Manske.

Es ist das Verdienst der Grasberger Kuratorin Birgit Neumann-Dietzsch, die Bilder durch jahrelange Recherchen wiederentdeckt zu haben. Doch warum so spät? Manske macht dafür „eine spezielle kulturpolitische Situation in Bremen“ verantwortlich – bis 1973 wurde die hiesige Kulturbehörde von einem engagierten NS-Funktionär geleitet: Eberhard Lutze, bekannt durch den Rausschmiss von Theaterintendant Kurt Hübner, nicht ganz so bekannt als staatlich beauftragter Kunsträuber im besetzten Polen. Für die seither vergangenen 36 Jahre muss freilich noch nach anderen Erklärungen gesucht werden.