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Kunst und Leben

Ein Schatz von einer Ausstellung: Die Kieler Kunsthalle zeigt eine überzeugende Retrospektive der enorm vielseitigen Mary Bauermeister

Von Frank Keil

Ganz ruhig beginnt es: mit großflächigen, transparent-strahlenden Bildern. Lineares kommt vorsichtig hinzu. Bilder voller Punkte und dann Kreise setzen sich durch. Was sich fortsetzt – bald schauen wir auf seriell aufgehäufte Pyramiden aus kleinen Steinen, in denen sich grafische Exaktheit und Kunstfremdheit des Materials begegnen. „1+1=3“ greift, dazu passend, die Kieler Kunsthalle ein Zitat der Künstlerin auf, erhebt es zum Ausstellungstitel. Und setzt darunter: „Die Kunstwelten der Mary Bauermeister“.

Deren früheste gezeigte Arbeiten stammen aus dem Jahr 1955, die späteren aus den 1970ern; dazu kommen einige heutige Nachbearbeitungen. So erzählt „1+1=3“ von einem künstlerischen Lebenslauf, eine Zeitlang korrespondierend mit den avantgardistischen Strömungen der Bonner Republik, bis die Künstlerin vom Weg abbog – und dabei strikt bei ihrer Kunst blieb, und vor allem bei der von ihr gewählten Materialität.

Geboren wurde Mary Bauermeister im September 1934, die Mutter war Sängerin, der Vater Anthropologe. Die ersten Lebensjahre verbrachte man in Kiel, dann zog die Familie nach Köln. Die Interessen der Heranwachsenden galten der Musik, der Kunst, aber auch der Mathematik. Ein Studium schien programmiert – kurz vor dem Abitur aber warf sie demonstrativ hin. Mary Bauermeister ging stattdessen in eine Fabrik, Geld verdienen – und die dort Arbeitenden für den Kommunismus gewinnen. Nach zwei Wochen bereits merkte sie, dass dort nicht das richtige Dasein auf sie wartete, und suchte dann doch den Weg in die akademische Kunstwelt.

Zehn Prozent jeder Einnahme legte sie zur Seite, um Kunst zu kaufen, also zu sammeln

Die Münchner Kunstakademie erinnerte sie an eine Gruft, sodass sie gar nicht erst versuchte sich einzuschreiben. Willi Baumeister an der Akademie in Stuttgart wiederum zeigte sich als allzu spießig. Auch die Hochschule für Gestaltung in Ulm verließ sie nach einem Semester wieder: zu viel Konstruktivismus. Als passend erwies sich endlich die Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken: Hier lehrte Otto Steinert, ein Fotograf, dem Experimentellen zugewandt.

1957, zurück in Köln, traf sie eine lebensbestimmende Entscheidung: Von nun an wollte Bauermeister allein mit ihrer Kunst Geld verdienen. Sie ging von Haustür zu Haustür, bot Bilder an. Zudem hatte sie festgelegt: Zehn Prozent jeder Einnahme werden zur Seite gelegt, um ihrerseits Kunst zu kaufen, also zu sammeln. Bald arbeitete sie mit Bienenwaben und Trinkhalmen, fand zu großformatigen Materialbildern, ging ins Skulpturale. Sie malte mit Sand, mit Asche, verarbeitete Treibholz; doch stets blieb die zeichnerische Intervention wichtig, das Einstreuen von Skizzenhaftem, von Zitaten, von Übermalungen auch. Das trennt ihre Kunst von purer Land Art, der man sie vorschnell zuschlagen könnte.

1960 folgte der nächste Schritt: Zusätzlich zu ihrem Atelier mietete sie eine Dachgeschosswohnung in der Kölner Lintgasse 28, groß genug, um auch Konzerte und Aktionen zu veranstalten – plus angrenzendem Raum, in dem sich Schlafsäcke ausrollen lassen. Einen geschützten Ort wollte sie bieten, in den nur hineinkam, wer zuvor persönlich schriftlich eingeladen worden war: Barnett Newman, Öyvind Fahlström und Arnulf Rainer stellten unterm Dach aus; Auftritte von Maurice Kagel, John Cage und Nam June Paik waren zu erleben; Wolf Vostell und Christo erprobten sich. Überhaupt darf die Lintgasse als einer der bundesrepublikanischen Hotspots der zeitgenössischen Kunst und des Kunstdiskurses angesehen werden.

Gastgeberin für den bundesrepublikanischen Kunstdiskurs: Mary Bauermeister, 1965 fotografiert von Hans Namuth Foto: © 1991 Hans Namuth Estate/Center for Creative Photography, University of Arizona

Dann brauchte Bauermeister wieder den Wechsel, suchte sich aus der Rolle der Gastgeberin zu lösen: Im Winter 1962 ging sie nach New York, war bald befreundet mit Jasper Johns und Robert Rauschenberg, gut bekannt auch mit Marcel Duchamp und Andy Warhol. Im März 1964 folgte ihre erste Einzelausstellung, die New York Times brachte eine hymnische Kritik. Das Museum of Modern Art kaufte Arbeiten an, ebenso das Guggenheim Museum. Die internationale Karriere schien vorgezeichnet. Besonders Bauermeisters Linsenkästen überzeugten: Holzkästen, auf unterschiedlichen Ebenen bestückt mit Linsen unterschiedlicher Brennweiten, von der Künstlerin immer wieder neu angeordnet, der Blick auf die Welt bricht sich immer wieder neu. 350 solcher Kästen hat sie entworfen und gebaut, einige zentrale Exponate sind in Kiel zu sehen.

Kurz bevor sie nach New York ging, hatte Bauermeister bei den Darmstädter „Ferienkursen für Neue Musik“ den Kompositionskurs eines gewissen Karlheinz Stockhausen besucht, den sie in die Lintgasse einlud. Die beiden wurden ein Paar, auch wenn Stockhausen verheiratet blieb – erst mal. 1968 ließ er sich scheiden, Bauermeister kehrte zurück nach Deutschland. Die beiden heirateten, hatten zwei Kinder, 1973 folgte die nächste Scheidung.

Mary Bauermeister pendelte noch eine Zeitlang zwischen Köln und New York, doch allmählich wurde es ruhiger um sie was Ausstellungen anging. Künstlerisch umtriebig blieb sie; was nun kam, nannte sie später selbst ihre „spirituelle Phase“: Geprägt von mathematisch wie metaphysisch ausgerichteten Untersuchungen von Naturphänomenen, widmete sie sich Kunst-am-Bau-Projekten, gestaltete Gärten, baute nicht zuletzt ihr eigenes Haus in Rösrath bei Köln zu einem sich immer wieder veränderten Gesamtkunstwerk aus, in dem ihre eigenen Arbeiten mit den gesammelten Anderer korrespondierten; das Haus gibt es bis heute, seine Zukunft wird derzeit geplant.

Mary Bauermeister, Zentriert (1960) Foto: Peter Hinschläger © Mary Bauermeister/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Diesem Weg nun zu folgen, ist so erhellend wie entspannend, was auch an der präzisen Hängung und der dramaturgischen Gestaltung liegt: Die Kieler Kunsthalle weiß, welchen Schatz sie mit der Schau – kuratiert von Regina Göckede und Hauke Ohls – präsentiert und muss damit weder angeben noch ihn überdeutlich anstrahlen.

Den letzten Raum hat sich Mary Bauermeister kontemplativ gewünscht: an jeder Wandseite eine Arbeit, dazu eine Klanginstallation für vier Lautsprecher; eine Auftragsarbeit Simon Stockhausens, ihres Sohns. Und man sitzt da, überlässt sich der so fern scheinenden Zeit, durch die man eben geführt wurde – und die dabei so wach geworden ist.

1+1=3. Die Kunstwelten der Mary Bauermeister: bis 5. 3., Kiel, Kunsthalle.

Vortrag „Das Atelier Bauermeister in Köln und die Entstehung der Aktionskunst der 1950/60er Jahre“ von Klaus Gereon Beuckers: Di, 1. 2., 18 Uhr

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