SPAZIERGANG
: Von Natur aus böse

Ich hocke mich zu ihm runter, halte ihn an beiden Armen fest

Ich verzweifle am Schreibtisch. Der Text, den ich schreiben will, funktioniert einfach nicht. Stefan sagt, komm, wir gehen spazieren. Er zieht mich raus in die Hasenheide. Gleich am Eingang ist dieses sogenannte Streichelgehege mit ein paar Ziegen und Schafen, die viel zu wenig Platz haben. Da gehen wir hin.

Am Zaun hängt ein Schild „Bitte die Tiere nicht füttern“. Neben uns stehen fünf oder sechs Kinder und werfen packungsweise Toastbrot ins Gehege. Manche halten den Tieren ein Stück hin, und wenn dann ein Schaf den Kopf danach streckt, ziehen sie das Brot wieder weg und lachen dreckig. Der dickste Junge von allen macht das auch, und während das Schaf versucht, an das Brot zu kommen, spuckt er ihm ins Fell, immer wieder. Als das Schaf den Kopf durch den Zaun steckt, tritt der Junge dagegen. Wirklich. Er tritt mit seinen stinkenden Sportschuhfüßen dem armen Schaf gegen den Kopf. Das Schaf blökt und humpelt dann verstört in die hintere Ecke. Ein anderer Junge ruft: „Ey, das darf man nicht, das sind Lebewesen!“, und ein Mädchen fängt an zu weinen. Der dicke Junge sagt: „Na und?“, und spuckt eine Ziege an. Ich hocke mich zu ihm runter, halte ihn an beiden Armen fest und sage ganz langsam: „Du kleines, gemeines, fettes Scheißkind. Wenn du noch einmal eines von diesen Tieren bespuckst oder trittst, werde ich dich genau hier an diesem Zaun festbinden, und dann dürfen alle Ziegen und Schafe dir einmal so richtig fies ins Gesicht pinkeln, möchtest du das?“

Der Junge guckt mich an, die anderen Kinder stehen auch da und hören zu. Er hat höchstens die Hälfte verstanden, aber er schüttelt den Kopf und sagt: „Nein, ey, okay, Mann.“ Ich bleibe noch ein paar Minuten da stehen und gucke den Kindern zu, sie füttern jetzt weiter, aber ruhiger. Dann gehe ich mit Stefan weiter und sage: „Ich weiß nicht, ob ich jemals – jemals! – Kinder will.“

MARGARETE STOKOWSKI