Psychologisch klar im Vorteil

Sportpsychologe Lothar Linz bereitet seine Klienten auf sportliche Stresssituationen vor. Erfolge im Hockey oder im Fechten gehen auch auf seine Arbeit zurück. Absage an „Effekthascherei“

von LUTZ DEBUS

„Stell Dir vor, Du bist im Stadion. Du gehst vom Mittelkreis zum Sieben-Meter-Punkt. 5.000 Spanier pfeifen.“ So bereitete Sportpsychologe Lothar Linz die deutsche Hockeynationalmannschaft auf eines ihrer Spiele vor. Europameister, Weltmeister, Bronze bei Olympia. Der Erfolg der Mannschaft ist enorm. Hat Lothar Linz mit seiner psychologischen Betreuung Anteil daran? Für die Hockeyspieler keine Frage. In Athen holten sie ihn mit auf das Spielfeld zur Siegerehrung.

Natürlich, jeder Sportkommentator benutzt das Wort Psychologie, wenn die Spannung eines Spiels oder Wettkampfes unerträglich wird. Aber was verbirgt sich hinter der Praxistür des Sportpsychologen tatsächlich? An der Bundesstraße zwischen Köln und Bergisch-Gladbach steht ein Haus aus dem 19. Jahrhundert. Freischwingende Ledersessel, Aromaölfläschchen und Bergkristall auf dem Tisch, auf den ersten Blick Therapieklischee in Reinkultur. An der Wand aber hängt ein olympischer Lorbeerkranz. Und Fotos von ekstatischen Sportlern bei ihren großen Siegen. Tek Won Do, Badminton, Fechten, Handball, Hockey, das Aufgabenfeld von Lothar Linz ist breit gefächert. Selten aber arbeite er hier in seinen Praxisräumen. Den direkten Kontakt zu den Sportlern beim Training und bei den Wettkämpfen hält er für wichtiger.

Fechter benötigen 15 Treffer zum Sieg. Was geschieht, wenn beide Gegner 14 Treffer haben? „Menschen in Stresssituationen können sich nicht schnell entscheiden.“ Linz übt mit den Fechtern genau diese finale Situation im Training. Manchmal komme es auf einen Zentimeter an, ob der Fechter „durchstößt“. Zaudern hindert. Um den Wettkampfstress zu simulieren helfe die klassische Konditionierung. Bei Misserfolg im Training müssen dann schon mal 20 Liegestütze gemacht werden.

Bei Mannschaftssportarten moderiert Lothar Linz Gespräche über die Leistungsprofile der einzelnen Spieler. Welcher Handballer kann gut mit Stress umgehen, ist also besonders für die letzten Spielminuten geeignet? Der Trainer braucht sich nicht allein auf sein Gespür verlassen. Die Wahrnehmung aller Spieler wird gehört, darüber diskutiert. Bei Wirtschaftsunternehmen heißt so ein Vorgehen Coaching Die Gruppendynamik innerhalb einer Mannschaft habe, so Linz, entscheidenden Einfluss auf die Leistung.

Warum gibt es in der Mannschaftssportart Fußball nicht vergleichbares? „Der Fußball ist in seiner Entwicklung im Gegensatz zu anderen Sportarten um 10 bis 20 Jahre zurück“, lächelt Lothar Linz. „Und in der Sportpsychologie sind die Deutschen im internationalen Vergleich generell nicht so weit.“ Außerdem sei Fußball ein besonders maskuliner Sport. Männer gehen auch sonst viel seltener zum Psychologen. Schwäche zeigen sie ungern. Keine Mannschaft sei auf eine Schlagzeile in der BILD scharf wie: „Der Psycho-Doc kommt!“ Einzige Ausnahme war Christoph Daum. Der habe für 30.000 Euro den Motivationstrainer Jürgen Höller verpflichtet. Der ließ die Spieler über Scherben laufen. So etwas befördere das Image, dass in der Sportpsychologie nur durchgeknallte Guru-Methoden angewandt werden. Über Verbundglasscherben könne übrigens jeder schmerzfrei gehen. „Reine Effekthascherei!“, urteilt Linz.

Die Methoden des 39-jährigen sind unspektakulärer. Im Mannschaftsbus lässt er alle Spieler auf Karteikarten schreiben, was sie am Sieg hindern könne. Der Stress. Die Überheblichkeit. Das Wankelmütige. Dann sammelt er die Kärtchen ein. Auf der Rückfahrt zum Hotel bekommen die Sportler ihre Merkzettel zurück. Während des Spiels sollen sich die Spieler dadurch bewusst von allem Hemmendem trennen können.

Mit einem Beispiel will Lothar Linz verdeutlichen, dass Sport zunächst im Kopf statt findet. Zwei Biathleten wurden gefragt, woran sie im entscheidenden Moment gedacht haben. Der Unterlegene antwortete: „Wenn ich jetzt verschieße, verliere ich.“ Der Sieger berichtete, dass er nur an das Schwarze auf der Scheibe gedacht habe. Verschachtelungen in den Gedanken führe zu schlechten Ergebnissen. Die psychologischste aller Sportarten sei übrigens Golf. Etwa viereinhalb Stunden gehe der Golfer über den Platz. Mit Ball und Schläger sei er insgesamt etwa 15 Minuten beschäftigt. Die verbleibende Zeit ist trefflich dafür geeignet, sich gedanklich aus dem Konzept zu bringen.

Dieses Problem haben die flinken Handballer nicht. Ihnen wiederum fehlt zuweilen die Gelassenheit. Als Ausgleichssport verordnete Linz manchem Handballer das Bogenschießen. Da werde die Konzentration auf das Ziel geschult. Die Entdeckung der Langsamkeit.