Krank durch Diskriminierungen

EPIDEMIOLOGIE WissenschafterInnen der Universität von Kalifornien belegen: Homo- und Bisexuelle sind häufiger in psychiatrischer Behandlung als Heteros

„Das Thema Homosexualität ist für Wissenschaftler ein Karriere-Killer“

BERLIN taz | Ein Team um Epidemiologin Susan Cochran von der kalifornischen Universität in Los Angeles befragte 2.074 Menschen zwischen 18 und 64 Jahren nach ihrer sexuellen Orientierung und wie oft sie im vergangenen Jahr wegen psychischer Probleme, Drogen- oder Alkoholproblemen therapeutische Hilfe suchten. Damit konnten die ForscherInnen bisherige Vermutungen, dass Homo- und Bisexuelle häufiger eine psychotherapeutische Arztpraxis aufsuchen, erstmals an einer großen Bevölkerungszahl verifizieren.

48,5 Prozent der befragten Homo- und Bisexuellen gaben an, in psychotherapeutischer Behandlung gewesen zu sein. Bei den Heterosexuellen waren es 22,5 Prozent. Beruf, Bildung und Beziehungsstatus wirkten sich nicht auf die Häufigkeit der Arztbesuche aus, aber beim Geschlecht gab es Unterschiede: Lesbische und bisexuelle Frauen gingen öfter zum Therapeuten als Männer. Die häufigsten Gründe waren Depressionen, Angst- und Panikattacken sowie traumatische Erlebnisse.

Neben der alltäglichen Diskriminierung nennen die WissenschaftlerInnen die Pathologisierung der Homosexualität als Ursache für die höhere Inanspruchnahme von Therapien. Für solche Stigmatisierungen finden sich auch in Deutschland reichlich Beispiele. In einem Bulletin der evangelikalen Offensive Junger Christen heißt es: „Homosexualität ist ein Hinweis darauf, dass etwas Tieferliegendes – und zwar die Verunsicherung in Bezug auf die eigene geschlechtliche Identität – heil werden soll.“ Derartige Aussagen kehren laut Susan Cochran das Problem um. Homosexuelle müssten von allen Seiten mit Ablehnung rechnen. „Ihre Angstsymptome werden dann als Beweis ausgelegt, dass Homosexualität einer Behandlung bedarf“, sagt Cochran.

Die Wissenschaftlerinnen sind von ihren Ergebnissen nicht überrascht. „Wir waren uns ziemlich sicher, was bei dieser Studie herauskommt“, so Cochran. Schließlich sei es kein Wunder, dass Leute, die ständig Diskriminierung und Gewalt erfahren, Stresssymptome zeigen. Auch dass Frauen häufiger zum Arzt gehen als Männer, sei nicht neu. „Wir wollten aber Fakten schaffen, damit die Wissenschaft darauf aufbauen kann“, so Cochran. Mit den Erkenntnissen aus der Studie hofft sie auf eine bessere Abstimmung der öffentlichen Gesundheitsfürsorge auf die Bedürfnisse der Homo- und Bisexuellen.

Inwieweit die Ergebnisse auf Deutschland übertragbar sind, lässt sich schwer sagen. „Es gibt für aufwendige Studien keine Gelder“, sagt Gisela Wolf, Vorstandsmitglied im Verband lesbischer Psychologinnen und schwuler Psychologen in Deutschland (VLSP). „Das Thema Homosexualität ist für Wissenschaftler ein Karriere-Killer.“ Dabei wäre eine Verankerung des Themas an Universitäten nötig: Wolf selbst begegnete schon mehrmals ÄrztInnen, die nicht wussten, dass Homosexualität nicht mehr als Krankheit bezeichnet werden darf. Sie schätzt, dass rund 15 Prozent der TherapeutInnen in Deutschland versuchen, die homosexuelle Orientierung ihrer Patienten zu verändern. In einer Umfrage fand die Mannheimer Beratungsstelle PLUS zudem heraus, dass das Interesse der TherapeutInnen an Fortbildungen zum Thema Homosexualität gering ist.

BORIS HÄNSSLER