Der lange Weg von A nach P

Nach langer Krankheitspause bestreitet Daniel Unger vom TV Mengen bei den deutschen Triathlonmeisterschaften in Potsdam seinen ersten wichtigen Wettkampf, wird Zweiter und sagt: „Ich war weg vom Fenster – und jetzt bin ich wieder da“

VON FRANK KETTERER

Und dann lag nur noch die kurze Zielgerade vor Daniel Unger. Dies muss der schöne Moment gewesen sein, in dem dem Triathleten des TV Mengen endgültig und unumstößlich klar wurde, dass er wieder ganz der Alte ist. Unger jedenfalls strahlte, reckte die Arme gen Himmel, ballte die Faust – und schnappte sich schließlich eine Fahne, um wild mit ihr herumzuwedeln. Dann überschritt er die Ziellinie im Potsdamer Lustgarten – und dass kurz vor ihm schon Sebastian Dehmer dies getan und sich damit den Titel des deutschen Triathlonmeisters gesichert hatte, spielte für Daniel Unger nicht die geringste Rolle. Der 27-Jährige aus dem Schwabenland war Zweiter geworden – aber er fühlte sich dennoch als Sieger.

Und wenn er dereinst auf diesen Tag und dieses Rennen zurückblicken wird, könnte es leicht sein, dass er eben diesen Sieg als einen der wichtigsten seiner sportlichen Karriere wertet. Vor Ort und noch außer Atem sagte Unger: „Ich war weg vom Fenster – und jetzt bin ich wieder da. Ich bin total glücklich.“ Er sagte es just in dem Moment, in dem auch der Streckensprecher ein begeistertes „Ungerman ist back“ ins Mikrofon rief.

Es ist in der ehrgeizigen Welt des Sports nicht oft der Fall, dass ein Titelverteidiger seinen Titel nicht verteidigt – und davon doch so euphorisiert wirkt wie Daniel Unger am ebenso sonnigen wie heißen Samstagnachmittag in Potsdam. Dass es dafür einen besonderen Grund geben muss, versteht sich von selbst. Ungers Grund war ein von Sportlern viel gefürchteter und trägt den Namen Pfeiffer’sches Drüsenfieber. Im August vergangenen Jahres setzte die heimtückische Tröpfcheninfektion den EM-Dritten außer Gefecht. Dass sie es gerade einmal eine Woche vor Beginn der Olympischen Spiele in Athen tat, machte die Sache nur umso tragischer. „Ich hatte alle Hürden genommen und musste nur noch nach Athen fahren, um das Rennen zu machen“, erinnerte sich Unger noch wenige Tage vor den deutschen Meisterschaften – und selbst nach so langer Zeit war deutlich zu spüren, wie nahe ihm das immer noch geht: „Olympia war und ist mein Traum.“ Dass die Medaillen in Griechenland am Ende an Sportler gingen, die er bei Vorbereitungswettkämpfen sicher im Griff hatte, macht den Rückblick nicht leichter. „Damit muss ich leben.“

Dennoch: Athen ist seit Samstag Geschichte, die Gegenwart heißt Potsdam. Und gerade dass der Weg von A nach P ein langer und beschwerlicher war, macht diesen zweiten Platz zu einem so großen Sieg. Im Prinzip war es für Daniel Unger eine Reise von hundert auf null – und wieder zurück. Viereinhalb unendlich lange Monate hatten ihm die Ärzte sämtliche sportliche Aktivität verboten – für den Körper eines Hochleistungssportlers bedeutet das nichts anderes als eine Vollbremsung. „Mein Körper musste sich erst ans Nichtstun gewöhnen. Am Anfang hatte ich Kreislaufprobleme“, erzählt Unger. Als er endlich wieder dreikämpfen durfte, erging es ihm nicht besser: Nun spielte der Kreislauf verrückt, weil er die Belastung nicht mehr gewohnt war. Unger: „Als ich das erste Mal wieder fünf Kilometer gelaufen bin, musste ich zwei Gehpausen machen.“

Am Samstag musste der 27-Jährige keine Pause mehr einlegen, ganz im Gegenteil: Zu jedem Zeitpunkt des Rennens war er bei der Musik: Als Zehnter stieg Unger nach 1,5 km Schwimmen aus der Havel, auch auf dem Rad war er einer der Aktivsten, was ihn nach 40 km auf Rang drei beförderte; beim abschließenden 10-km-Lauf wiederum war es nur Sebastian Dehmer, der Junioren-Weltmeister von 2001, den er ziehen lassen musste. „Die Fitness ist wieder da“, freute sich der 27-Jährige darüber wie ein Schneekönig. Tempo- und Wettkampfhärte, da ist sich Daniel Unger ganz sicher, werden schon in Bälde dazukommen.

Ergebnisse der deutschen Triathlonmeisterschaften in Potsdam (nach 1,5 km Schwimmen, 40 km Rad fahren, 10 km Laufen) Frauen: 1. Joelle Franzmann (Saar Hochwald) 2:04:13 Stunden, 2. Christiane Pilz (ASICS-Team Witten) 2:04:51, 3. Anja Dittmer (SC Neubrandenburg) 2:05:32, 4. Ricarda Lisk (VfL Waiblingen) 2:05:48; Männer: 1. Sebastian Dehmer (TuS Griesheim) 1:49:40, 2. Daniel Unger (TV Mengen) 1:49:58, 3. Jan Frodeno (Tri Sport Saar Hochwald) 1:50:15, 4. Maik Petzold (LV Bautzen) 1:50:42, 5. Steffen Justus (ASICS-Team Witten) 1:51:04