Opfer zu Tätern gemacht

betr.: „Lafontaine im Nazi-Jargon“, Kommentar von Christian Semler, taz vom 17. 6. 05

Es drängt sich der Eindruck auf, dass es sich bei des Autors Kommentar um eine wie auch immer motivierte Überreaktion handelt, die lediglich Ausdruck einer großen Bereitschaft zu sein scheint, Lafontaine jeden Tag etwas anzukreiden. Lafontaine wäre schon alleine deswegen im Zweifelsfall besser beraten gewesen, auf diesen Begriff zu verzichten. Ihm dabei zu unterstellen, er würde „Rechtsradikalen im NPD-Musterland Sachsen Stimmen abjagen“, das ist schon extrem absurd. Lafontaine hat 25 Jahre lang als Sozialdemokrat (der er ideologisch gesehen immer noch ist) öffentliche Ämter für die SPD bekleidet. Er ist ja nicht aus der SPD ausgetreten, weil sie ihm zu linksradikal ist.

Abgesehen davon sei noch erwähnt, dass die Behauptung, der Begriff „Fremdarbeiter“ besäße einen eindeutigen Sinngehalt, so nicht stimmt. Eine kurze Recherche im Internet kann die vermeintliche Eindeutigkeit dieses Sinngehalts zumindest nicht bestätigen. Auf zahlreichen Internetseiten (Informations- und Wissenschaftsseiten) wird dieser Begriff als deskriptiver Terminus von angeworbenen ausländischen Arbeitskräften benutzt. So auch in der Kober-Studie, die mit einem Preis des Victor-Klemperer-Jugendwettbewerbs ausgezeichnet wurde. Das wäre wohl nicht der Fall, wenn der Begriff so eindeutig wäre, wie der Autor unterstellt.

ANDREAS HÖRMANN, Frankfurt am Main

Also, ich verstehe die ganze Aufregung um den Begriff „Fremdarbeiter“ nicht. Ich habe bereits jahrelang als so genannter Fremdarbeiter bei DaimlerChrysler in Stuttgart gearbeitet. Dort schicken ca. 11.000 so genante Fremdfirmen seit Jahrzehnten täglich eine „Heerschar“ davon zum Arbeiten über die „Autobahn“ hin. Dass diese Menschen über mehrere Subunternehmer ihres realen Lohns und des Kündigungsschutzes beraubt werden, scheint niemanden zu interessieren, der Begriff selbst führt aber zu einem Aufschrei der Entrüstung. Mir wäre es lieber, wenn Sie sich mit den tatsächlichen Skandalen in unserer Republik beschäftigen würden.

MICHAEL SEYBOLD, Stuttgart

Vielleicht noch schlimmer als die – völlig zu Recht – kritisierte Vokabel „Fremdarbeiter“ ist Lafontaines Sachargument: „Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil (ausländische Arbeitnehmer) ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“ – Hier werden Opfer zu Tätern gemacht! Zu kritisieren ist doch nicht derjenige, der aus materieller Not heraus für Billiglohn arbeiten muss, sondern derjenige, der diese Not ausnutzt und für Armutslöhne arbeiten lässt.

PETER MERFORTH, Berlin

Der Begriff „Fremdarbeiter“ hat keinesfalls einen „eindeutigen Sinngehalt“. Zum einen weil (wie man wissen könnte, wenn man im Norden oder Osten Deutschlands Verwandte auf dem Lande hat) lange vor Hitler die bäuerlichen Saisonarbeitskräfte so bezeichnet wurden. Zum anderen weil die Fähigkeit, „Sinn“ auch anders sehen und das kommunizieren zu können, zu den wenigen Eigenschaften gehört, die Homo sapiens tatsächlich vom Tier unterscheiden. Aber wie Platon den „wahren Sinn“ bei einem Schöpfergott verorten wollte, juckt es wohl einige, ihn nun an der Wortverwendung des Dritten Reiches ein für allemal verbindlich festzulegen. So erging es ja auch dem altrömischen Rechtsspruch „Jedem das Seine“, der ausschließlich als KZ-Parole verstanden werden durfte, wollte man sich nicht politisch korrekter übler Nachrede aussetzen. Nur tut man damit den Nazis wohl doch etwas zu viel Ehre an – und auf vorgeschriebenen antifaschistischen „Neusprech“ kann ich gerne verzichten.

Was das von Lafontaine angesprochene Problem betrifft: Er hätte seine Forderung auch alternativ-vornehm als „Regionalisierung“ verbrämen können. Doch sollte man einen Politiker tatsächlich dafür tadeln, dass er von den Leuten, die er als Wähler gewinnen möchte, auch verstanden werden möchte? BERNHARD BECKER, Duisburg

Trotz der Angst vor einem Verrutschen nach rechts ist es doch wirklich ausgesprochen lächerlich, einen (wenigstens halbwegs) Linken wie Lafontaine des Stimmenfangs an falschen Ufern zu verdächtigen, vor allem da es sich um ein Wortwahlproblem handelt, das den verstumpften Hirnen des angeblich angesprochenen Personenkreises eine deutlich zu große mentale Anstrengung zumuten würde.

Davon abgesehen ist die Herleitung äußerst umständlich und meiner Meinung nach auch nicht in die richtige Richtung gedacht. Denn ist nicht der Begriff „Fremdarbeiter“ (ein Arbeiter aus der Fremde) viel passender und auch angebrachter als der als scheinbar politisch korrekter angesehene Begriff „Gastarbeiter“, der sich eher danach anhört, als seien die genannten Gäste wieder nach Hause zu schicken, nachdem man ihre Dienste als Arbeiter nicht mehr benötigt? Wir sollten uns bei unserer Wortwahl besser darauf konzentrieren, was das gesagte Wort wirklich ausdrückt, als es aufgrund eines geschichtlichen Hintergrundes, der leider Gottes in Deutschland immer der gleiche ist, aus dem erlaubten Sprachgebrauch zu verbannen. ADAM BUTZ, Berlin

Richtig ist, Worte können nicht beliebig privat oder persönlich definiert werden, ohne zwangsläufig missverstanden zu werden. Aber einen eindeutigen Sinngehalt irgendeines Ausdrucks einer Sprache gibt es schlicht und einfach ebenfalls nicht. Bedeutungen verändern sich ständig, und es ist auch völlig legitim, bewusst Wörter anders zu verwenden, als manche Leute vorher, zumindest wenn dies deutlich gemacht und begründet wird.

Sicher gibt es irreführende Begriffe, sogar bewusst als Propaganda, aber zum Beispiel nur, weil Nazis irgendwelche Wörter so oder so benutzt haben oder es noch tun, wird dadurch noch gar nichts eindeutig festgelegt, selbst wenn die Nazis mehr als 50 Prozent aller deutschsprachigen Menschen wären. Gerade das, was Christian Semler in seinem Artikel getan hat, geht daher in Richtung der von ihm selbst so bezeichneten „angemaßten Definitionshoheit“. Diese Hoheit hat nicht einmal die Redaktion des Duden oder eine amtlich eingesetzte Kommission, weder in Deutschland noch anderswo.

BERNHARD WAGNER, Berlin

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