die taz vor sieben jahren: robert misik über die linke und die staatsfrage
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Da die Staatsfrage in der deutschen Linken theoretisch undiskutiert und praktisch ungelöst geblieben war, ist eine solche Linke schlecht gerüstet, auf diese Attacke zu reagieren. Dies wird deutlich, nimmt man etwa Frankreich zum Vergleich. Die Skepsis deutscher Linker dem Staat gegenüber würde von französischen Linken nahezu aller Couleur wohl mit heftigem Kopfschütteln quittiert. Ihnen gilt der Zentralstaat, immerhin ein Kind der Französischen Revolution, als Garant der Zivilisation, nicht als Einfallstor der Barbarei. So ist man in Frankreich schneller geneigt als in Deutschland, die neue Staatsfeindlichkeit der Neoliberalen als antizivilisatorische Attacke zu realisieren.

In der BRD hingegen sind selbst klügere Köpfe der unorthodoxen und alternativen Linken vorschnell zur Stelle, den sozialdemokratischen Etatismus zu geißeln, der angeblich die kreativen Kräfte des einzelnen hemmt und die Freiheit der autonomen, selbstbestimmten Individuen umzäunt – daß hier derselbe Ton anklingt, in dem die Neokonservativen die flexiblen Unternehmerpersönlichkeiten feiern, wird nur höchst selten mit reflektiert.

Der sozialdemokratische Etatismus gerät so ideologisch unter einen Druck, dem er nicht mehr gewachsen ist. Hinzu kommt, daß Ideologie und Hard Facts ein dialogisches Verhältnis eingehen, staatliche Regulierung ihrer realen Basis verlustig geht. Die Erfolgsstory des Nachkriegskapitalismus war die des wohlfahrtsstaatlich regulierten kapitalistischen Nationalstaates. Da der Globalisierung des Kapitalismus (noch) keine supranationale Staatlichkeit gegenübersteht, fehlen auch die Instrumentarien zur Re-Regulierung der deregulierten Welt-Marktwirtschaft.

Zwei Wahrheiten hat eine politikfähige Linke somit zu gewärtigen: Sie bedarf der Instrumente der Staatlichkeit, ihr hat sie mit positiver Emphase, nicht mit antietatistischer Skepsis zu begegnen. Zweitens ist das Terrain linker „Innenpolitik“ Europa, wenn nicht gar die Welt.