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Schreiben als Rettung und Einladung

Die Gedanken gehen Richtung Bochum. Würde Wolfgang Welt noch leben, säße er heute, an seinem 70. Geburtstag, wohl wieder mit Familie und Freunden im Backhaus am Langendreerer Markt. Er würde ein paar Pötte Kaffee bestellen, Kuchen ­probieren und die meiste Zeit schweigen. Um sich nach einer Stunde in seine nahe gelegene Wohnung voller Bücher und Platten zurückzuziehen: „Ab jetzt auf eigene Rechnung.“ Ein Prinzip, dem Welt als Gonzo-Journalist wie als Schriftsteller stets konsequent gefolgt ist. Unmissverständlich machte er die persönliche Geschichte zum Erzähl­projekt, der Authentizitätslevel unschlagbar.

Obgleich einige über den „Dichter aus der Zechensiedlung“ spotteten, ein Kölner Verlag mitteilte, das eingereichte Manuskript sei so trist wie die geschilderten Erfahrungen oder (ausgerechnet) Diedrich Diederichsen „Peggy Sue“, das Roman­debüt, verriss: Wolfgang Welt hat nie verzagt, sein Leben auf einzigartige Weise zu Literatur werden lassen. Trotz, vielleicht ja sogar wegen der früh diagnostizierten schizophrenen Psychose, dem Wissen, dass Schreiben als Rettungsanker funktionieren kann, doch ebenso eine „Einladung zum Wahnsinn“ beinhaltet.

Wo etwa Gerhard Henschel für autobiografische Arbeiten riesige Sammlungsbestände auswertet, genügte Welt das geradezu untrügliche Gedächtnis. So basiert der im Deutschen Literaturarchiv Marbach gefundene und hier erstmals abgedruckte Text auf einer schmerzhaften Begegnung aus Kindertagen; memoriert: fünfzig Jahre später.

Die größte Angst der Schreibenden ist die vorm Verschwinden. Im Falle Wolfgang Welts stehen dem sein Nachlass im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut entgegen, ein Widerhaken setzendes Werk und die Erkenntnis der herrlich anarchistischen Story „Wie der Lou Reed den lachenden Vagabunden nicht traf“. Nämlich, dass verstorbene Lebenskünstler so lange weiterexistieren, wie man sich an sie erinnert.

Martin Willems

Zuletzt von Wolfgang Welt erschienen: „Kein Schlaf bis Hammersmith und andere Musiktexte“ sowie „Die Pannschüppe und andere Geschichten und Literatur­kritiken“, herausgegeben von Martin Willems (beide im Verlag Andreas Reiffer).

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