Das Land hinter der Kulisse der Adria

KROATIEN Traumstrände oder Kriegsruinen? Reiseland oder Eldorado des organisierten Verbrechens? Das Land entwickelt sich langsam zur konfliktfähigen Gesellschaft, sagt Norbert Mappes-Niediek

■ Jahrgang 1953, hat zahlreiche Bücher über die Länder des Balkan geschrieben. Mappes-Niediek lebt seit 1992 als freier Korrespondent für Österreich und Südosteuropa mit Frau und Kindern in einem Dorf in der Steiermark.

Foto: privat

taz: Herr Mappes-Niediek, was wird man von den Kroaten in 200 Jahren noch wissen, außer dass sie den Geschmacksverstärker „Vegeta“ erfanden ?

Norbert Mappes-Niediek: Anzunehmen ist, dass es eine kroatische Nation noch geben wird. Man kann hoffen, dass es eine europäische Nation sein wird. Nationale Zugehörigkeiten werden sich aber wahrscheinlich in ganz Europa stark relativiert haben, was nicht heißt, dass sie aufgehört haben zu existieren. Für Prognosen über 200 Jahre fragen Sie aber besser Eric Hobsbawm.

Der Nationalismus in Kroatien wird also schwächer?

Wir assoziieren mit Nationalismus gerne einen gewissen provinziellen Autismus. Im Fall des kroatischen Nationalismus muss man das ein wenig modifizieren. Zugehörigkeit zum Kroatentum bedeutete lange Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Nicht umsonst heißt die Partei des Staatsgründers Franjo Tudjman Kroatische Demokratische Gemeinschaft. Das hat auch positive Seiten, denn entgegen dem üblichen Vorurteil herrscht in Kroatien eine gewisse Offenheit gegenüber Fremden. Es hat aber auch den Nachteil: Right or wrong – my country, dieser Spruch gilt auch für Kroatien. Erst allmählich entwickelt sich Kroatien von einer Gemeinschaft zu einer Gesellschaft, die ihre Widersprüche öffentlich austrägt. Paradoxerweise sind die Leute, die Kroatien zur Nation gemacht haben, diejenigen, die auch die Kriegsverbrechen thematisiert haben.

Wenn die Kroaten offen sind, woher kommt dann ihr Hass auf die Serben?

Eine gewisse Weltoffenheit, die Kenntnis anderer Sprachen und Länder ist in Kroatien weit verbreitet, auch gegenüber dem Serbischen und Muslimischen. Dass es in den 1990er-Jahren zu dem schrecklichen Krieg kam, hängt nicht mit kultureller Borniertheit zusammen, sondern damit, dass innerhalb des sozialistischen Jugoslawiens die einzelnen Nationen miteinander in ökonomische Konkurrenz gesetzt wurden. Als dann mit dem Zerfall des Staates in den 1980er-Jahren die Ausgleichs- und Schiedsfunktionen wegfielen, wussten diese Nationen nicht mehr, wie sie ihre Verhältnisse untereinander regeln sollten.

Für Sie ist der im Juli zurückgetretene Präsident Ivo Sana- der ein „Manager des Wandels“. Was unterscheidet ihn von Figuren wie Tito oder Tudjman?

Er hat die Institutionen ernst genommen. In diesem Sinn ist er ein moderner demokratischer Politiker. Seine große Leistung war es, die HDZ, die hauptsächlich aus fanatisierten Kriegsveteranen und Kriegsgewinnlern bestand, in eine moderne, konservative, christdemokratische Partei umzuwandeln. Wie nachhaltig dieser Prozess gewesen ist, das wird man jetzt in den nächsten Jahren sehen.

Gibt es einen vergleichbaren Wandel auch in den Medien?

Viele Medien und Journalisten machen sich zum Instrument anderer Akteure der Politik, zum Teil aber auch des organisierten Verbrechens. Im Unterschied zu Serbien gibt es in Kroatien nicht mal ein vernünftiges politisches Leitblatt. Und das perfekte Verbrechen, Medijski Reket, besteht immer noch darin, über etwas nicht zu schreiben und dafür Geld zu kassieren. Das ist die traurige Wahrheit, auch wenn es in Kroatien eine Handvoll aufrechter Journalisten gibt.

INTERVIEW: DORIS AKRAP

■ Norbert Mappes-Niediek: „Kroatien. Das Land hinter der Adria-Kulisse“. Christoph Links Verlag, Berlin 2009. 173 Seiten, 16,90 €