Ein schlechtes Europa ist besser als keins
: KOMMENTAR VON HANNES KOCH

Europa steht auf dem Spiel. Dabei ist ein Erfolg der Europäischen Union die einzige Chance, die Globalisierung einigermaßen in den Griff zu bekommen. Diese Einsicht verlässt in diesen Wochen nicht nur die Gegner der EU-Verfassung, sondern auch manche Regierung. Wenngleich der Widerspruch in jedem Einzelfall berechtigt erscheinen mag, spielen die Bremser doch mit hohem Einsatz: Es geht darum, ob Europa in den kommenden Jahrzehnten seinen Bürgern Schutz vor einem ungeregelten Weltmarkt bieten kann. Diese Schutzfunktion steht durch die aktuelle Krise zur Disposition.

Europa war immer mehr als ein Wirtschaftsraum. Schon der bloße Einigungsprozess fußt auf einer Absage an die alleinige Herrschaft der Ökonomie. Zwar drehte sich Europa lange Zeit vornehmlich um Kohle, Stahl und Kuhmilch, doch war es immer Sinn der Veranstaltung, die ökonomischen Egoismen zwischen den Staaten auszugleichen – eine Lehre aus zwei Weltkriegen. Dieses auch heute noch gültige Bekenntnis beinhaltet einen Gestaltungsanspruch, der über die Grenzen des Kontinents hinausweist. Wenn der britische Premierminister Tony Blair für die Bekämpfung der weltweiten Armut plädiert oder die EU eine Regulierung von Hedgefonds anstrebt, handelt man im Einklang mit dem alten Programm. Diese Ansätze mögen bruchstückhaft bleiben – aber es ist wichtig, dass es sie überhaupt gibt.

Die Auswirkungen der aktuellen Krise aber können auch diese Bemühungen in Frage stellen. Wer heute die Verfassung aus subjektiv gut gemeinten Gründen ablehnt oder aus nationalem Interesse den gemeinsamen Haushalt niederstimmt, muss die möglichen Folgen einkalkulieren. National gesinnte Parteien profitieren von der zunehmenden antieuropäischen Stimmung. Auf der Ebene der Regierung verstärken sich die zentrifugalen Tendenzen, die einen Konsens in Zukunft schwerer machen. Und die milliardenschweren Investmentfonds haben leichteres Spiel, je mehr sich der Brüsseler Staatenbund gegenseitig blockiert. So betrachtet können eine in Teilen unsoziale Verfassung oder ein windschiefer Haushalt mehr Fortschritt bringen als keine Verfassung und kein Haushalt.