Plastiktrompeten und Plüsch

Das Leben der Hausfrau, die Einsamkeit des Transsexuellen: In der Volksbühne ging der Humor der Musikerinnen CocoRosie unter, dafür überzeugte Antony mit seiner Band The Johnsons mit Geschlechterverwirrung, Selbstentblößung und Distanz

VON THOMAS WINKLER

In der Umbaupause wird über Glücksbärchi diskutiert. Antony & the Johnsons lassen noch auf sich warten, CocoRosie sind viel zu schnell von der Bühne verschwunden, die Schlangen an den Bierständen der Volksbühne lang und die Frage auf dem Tisch, warum ausgerechnet die schlimmste und dümmste Kleinkinderverarschung auf diese Band projiziert werden musste. Warum ausgerechnet bei CocoRosie, die einem den Glauben zurückgegeben haben, dass Popmusik so viel mehr sein kann als infantil und selbstgefällig?

Dass die grobkörnige, irritierende, pulsierende Bärchenbebilderung mit den Kinderinstrumenten korrespondiert, die hier zur Klangerzeugung eingesetzt wurden: Diese Erklärung muss als allzu offensichtlich verworfen werden. Die beiden (angeblich) kurz nach der Geburt in Brooklyn getrennten (angeblichen) Schwestern Sierra und Bianca Cassidy, die sich (angeblich) erst vor drei Jahren in Paris wiedertrafen, können nicht so simpel gestrickt sein. Sonst wären wohl kaum so viele Menschen im Publikum, die derart vernünftig aussehen.

Jedenfalls bekamen diese zu sehen und zu hören, wie zwei Mitstreitern mit Stirnbändern, Miniharfe, Plastiktrompete und Blechspielzeug eine Ballade ganz neu zu bebildern wussten, die vom wundervollen Leben einer Hausfrau erzählt. Man hätte also freudig überrascht sein können darüber, wie hier auch live TripHop und Folk, Kinderlied und Kirchengesang, Obskures und Eingängiges ganz schwerelos zusammengedacht wurden.

Stattdessen herrschte weihevolle Würde – der unübersehbare Witz der beiden Schwestern ging unter. Ist es nicht vor allem komisch, wenn in einem Song namens „Brazilian Sun“ ein Horn geblasen wird, das aussieht wie aus einem Wikinger-Film? Wenn die beiden in einer Mischung aus Opernkoloratur und Babygequengel singen: „I believe in St. Nikolaus/ It’s a different type of Santa Claus“? Wenn die Human Beatbox ein Handgelenk in die Höhe reckt, an dem ein Armband mit einem rosa- und einem türkisfarbenen Glücksbärchi prangt – und das, nachdem sich der Mann zu einer gewagten, nur mit Mund und Mikro erzeugten Rhythmussequenz aufgeschwungen hat? Und hätte man es nicht einfach ironisch finden können, als die Bärchenkollegen auf der Leinwand im Bühnenhintergrund vor Begeisterung die Contenance verloren, als Sierra und Bianca Cassidy Platz machen für Antony?

Der erschien dann übrigens in einem Etwas aus schwarzem Strick und weißem Tuch, das womöglich von einem weltberühmten Designer durchlöchert wurde. Im Gegensatz zu den Oben-ohne-Fotos auf den Alben trug er zottelige schwarze Haare, die weniger wirkten wie eine Frisur, sondern eher wie ein Versteck. Die Johnsons blickten andächtig zum Meister hinterm Flügel und umschmeichelten seine Stimme mit Akkordeon, Gitarre, Cello, Violine und Bass, die zerbrechlich von der Einsamkeit des Transsexuellen sang.

Das Konzept, Geschlechterverwirrung und das Spiel mit sexuellen Identitäten in den Popzusammenhang zu führen, hat eine lange Tradition und viele erfolgreiche Protagonisten. Aber Antony hat es geschafft, das Thema mit authentischer Qualität auf die Bühne zu bringen, ohne die Künstlichkeit der Aufführung in Frage zu stellen.

Wenn bei David Bowie, Boy George oder Madonna immer klar war, dass sie in Rollen schlüpfen, gelingt es dem New Yorker, sich selbst zu entblößen und doch Abstand herzustellen. Jedenfalls ist es durchaus rührend, wie er – ganz er selbst oder vielleicht auch nicht – die Hände verlegen knetet und so lange darum bittet, die Schweinwerfer abzudrehen, bis er völlig im Dunkeln sitzt. Und wie er schließlich „alle, die schüchtern sind“, mitsummen lässt. Nur von diesem vielstimmigen Bienenschwarm begleitet, singt er und singt und singt und lässt einen dasitzen, umgeben von Plüsch, ganz a capella erzeugt. Passgenau schmiegt er sich um einen wie der letzte schöne Traum, den man hatte.

Am Schluss steht eine herzzerreißend verhuschte Version von Velvet Undergrounds „Candy Says“, das Lou Reed dereinst über Candy Darling verfasste, den Warhol-Superstar, der auch das Cover von Antonys aktuellem Album „I Am A Bird Now“ ziert. Danach packt sich Antony seinen fusseligen Umhängebeutel über die Schulter, winkt noch einmal linkisch und ist wieder verschwunden.

Und mit ihm das Zittern und Bangen, das die Volksbühne knapp drei Stunden zuvor beherrschte. Die gespannte Erwartungshaltung ist nicht ganz befriedigt, aber lange in der Schwebe gehalten worden. Und nun hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Diese Gesanglinien und Klavierkaskaden werden einem noch lange im Kopf bleiben.