Ein Massaker an der Verkehrspolizei

Bei einem Selbstmordanschlag in der kurdischen Stadt Erbil kommen mindestens 20 Rekruten ums Leben, über 100 werden verletzt. Auch in Bagdad sind Angehörige der Sicherheitskräfte Ziel von Attentaten. Drahtzieher sollen Dschihad-Kämpfer sein

AUS ERBIL INGA ROGG

Ein Autobombenanschlag auf Rekruten der Verkehrspolizei hat gestern in der kurdischen Regionalhauptstadt Erbil mindestens 20 Todesopfer gefordert. Nach Krankenhausangaben wurden bei dem Anschlag mehr als 100 Polizisten verletzt.

Knapp 140 Rekruten hatten sich zum Zeitpunkt des Attentats um kurz vor acht Uhr auf dem Übungsgelände der Verkehrspolizei versammelt. Zwar habe die Wachmannschaft Schüsse auf die verdächtige rote Toyota-Limousine abgefeuert, sagt Ausbilder Rostam Sultan Hussein. Doch gelang es dem Attentäter, den mit Sprengstoff bepackten Wagen bis vor den Eingang des Übungsplatzes zu steuern. Der Platz liegt auf einem freien Feld direkt hinter der Zentrale der Verkehrspolizei an der südlichen Ausfallstraße von Erbil nach Kirkuk und ist von Norden her über eine Schotterstraße leicht zugänglich. Stunden später zeugen nur noch ein riesiger dunkler Fleck und einige herumliegende Autoteile von dem Massaker.

Der Anschlag kommt nur einen Tag, nachdem der irakische Außenminister Hoschiar Sebari erklärte, dass es trotz aller Gewalt im Zweistromland weiterhin relativ sichere Gebiete gebe wie Erbil oder das südliche Basra. Obwohl sich die Lage in Erbil keineswegs mit der in Bagdad vergleichen lässt, ist in der kurdischen Hauptstadt in jüngster Zeit eine kontinuierliche Zunahme von Anschlägen zu verzeichnen. Anfang Mai riss ein Selbstmordattentäter 46 Polizisten in den Tod, als er sich im Zentrum der Stadt unter eine Gruppe von Rekruten mischte.

Als Drahtzieher hinter der Gewalt vermuten Vertreter des örtlichen Sicherheitsapparats Anhänger der militanten Gruppierung Ansar al-Sunna, die aus der Ansar al-Islam hervorgegangen ist. Ansar al-Sunna, die für eine Reihe von Entführungen und Enthauptungen verantwortlich gemacht wird, rekrutiert sich großenteils aus Kurden, denen der religiöse Liberalismus der beiden großen kurdischen Parteien ein Dorn im Auge ist.

Wie Abu Mussab al-Sarkawis al-Qaida im Irak versuchen auch die kurdischen Extremisten, mit terroristischen Mitteln ihre dunkle Vision von einem Gottesstaat durchzusetzen. Dabei ist es ihnen offenbar auch gelungen, den kurdischen Sicherheitsapparat von Erbil zu infiltrieren. So war der Anschlag im Mai nur möglich, weil die Täter über Informationen aus dem inneren Kreis der Sicherheitsorgane verfügten. Mehr als 40 Polizisten und Mitarbeiter des Innenministeriums wurden nach dem Anschlag verhaftet, unter ihnen auch ein enger Mitarbeiter von Innenminister Kerim Sindschari. Zudem hob die Polizei in einem Wohnhaus eine Bombenwerkstatt aus. Der Innenminister selbst zog daraus freilich keine Konsequenzen, ebenso wenig der Ministerpräsident der kurdischen Regionalregierung, Neschirwan Barsani, der an seinem Minister festhält.

Polizisten wurden auch in Bagdad erneut zum Ziel von Anschlägen. Bei einem Gefecht zwischen Aufständischen und US-Soldaten wurden gestern Morgen in Bagdad 5 Polizisten getötet, 19 wurden verletzt. Erst am Sonntag forderte ein Selbstmordanschlag auf ein bei Polizisten und irakischen Soldaten beliebten Restaurant 23 Todesopfer. Am Montagmorgen wurden in Süd-Bagdad 4 Polizisten bei einem Autobombenanschlag getötet. Seit Antritt der schiitisch dominierten Regierung hat die Gewalt im Irak mehr als 1.000 Tote gefordert.

Die irakische Regierung und die USA machen vor allem ausländische Dschihad-Kämpfer für die Attentate verantwortlich, die über Syrien ins Zweistromland eindringen sollen. Um ihnen den Boden abzugraben, haben die US-Truppen im Verbund mit den Irakern seit Mai vier Gegenoffensiven eingeleitet. Dabei setzten amerikanische und britische Kampfflugzeuge gestern am dritten Tag infolge die Bombardierung von mutmaßlichen Stellungen der Untergrundkämpfer an der syrisch-irakischen Grenze fort.