berliner szenen
: Der Sheriff in der Tankstelle

Es ist 6.30 Uhr, als wir uns am Reuterplatz mit einer Umarmung verabschieden. Auch wenn es noch dunkel und still ist, brennt in manchen Fenstern bereits Licht. Es duftet nach frisch gebackenem Brot von der Bäckerei um die Ecke.

Der Geruch weckt die Erinnerung an durchgemachte Nächte in meiner Heimatstadt Buenos Aires, die immer mit café con leche y medialunas (Milchkaffee und Croissants) endeten. Denn viele Cafés dort sind 24 Stunden geöffnet oder machen sehr früh auf für die Menschen, die äußerst früh arbeiten gehen oder für die, die, wie ich gerade, aus einer Party kommen und dringend was für den Magen brauchen.

Ich sehne mich nach solchen Kaffeestuben und auch nach den Kellnern, die mich noch heute erkennen und fragen, wie es mir geht, wenn ich zu Besuch bin. Und ich habe an diesem Morgen richtig Hunger.

Alles ist aber geschlossen, bis auf die Tankstelle in der Karl-Marx-Straße. Die ist nicht nur für die Autos da, sondern auch für die Autofahrer (alles Männer), die drinnen an der Theke Kaffee trinken. Von der anderen Straßenseite sieht es ein bisschen so aus wie die Bilder von Edward Hopper.

Auch als ich den Tankstellenshop betrete, um mir was für zu Hause zu holen, denke ich an die USA: Einer der Kunden trägt einen weißen Cowboyhut, ein weißes Hemd mit Krawatte und einem Sheriffstern an der Herzseite. Er unterhält sich mit der Verkäuferin und einem Lkw-Fahrer. Es geht um Oldtimer, und deswegen schaue ich durchs Fenster, ob ich doch nicht einen Streifenwagen aus den 70er Jahren übersehen habe.

Ich fühle mich, als ob ich in einer Filmszene wäre, und entscheide mich, dort zu bleiben. Ich bestelle einen Milchkaffee und muss mich mit einem Franzbrötchen zufrieden geben, die Croissants sind schon alle.

Luciana Ferrando