Wo bleibt das Konzept?

MUSIC BOARD Die freie Musikszene Berlins fürchtet, dass Kulturpolitik an ihren Bedürfnissen vorbei gemacht wird. Jetzt hat sie sich zum Interessenverband „Dach/Musik“ zusammengeschlossen und setzt sich zur Wehr

„In Tokio wird die Qualität unserer Arbeit wahrgenommen, in Paris und anderen Städten ebenfalls“

VON TIM CASPAR BOEHME

Bis vor Kurzem hatte der Musiker Ignaz Schick mit Kulturpolitik eher wenig zu tun. „Ich bin der Meinung, dass meine Inhalte und die Art, wie ich Musik mache, schon politisch genug sind. Ich will nicht zum Lobbyisten werden“, so sein Selbstverständnis. Gleichwohl ist Schick, der für seine Experimente mit Schallplattenspielern und anderen Klangobjekten international als einer der Hauptvertreter der Berliner Echtzeitmusikszene bekannt ist, seit einigen Wochen einer der Sprecher des Interessenverbands „Dach/Musik“. Dass er seine Meinung geändert hat, liegt daran, dass in der Förderpolitik der Stadt Änderungen anstehen, die ihn und seine Kollegen aufgeschreckt haben.

Am Anfang war eine Nachricht kurz nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vergangenen Herbst: Im Koalitionspapier sei die Einrichtung eines Music Boards vereinbart worden. „Bei mir klingelte ziemlich schnell das Telefon mit Anrufen aus verschiedenen Szenen, dass die komplette Musikförderung umgebaut werden soll.“ Er traf sich darauf mit Jazzmusikern, um die Lage zu klären, kurze Zeit später verfasste man gemeinsam eine Onlinepetition zum Erhalt der bisherigen Förderstrukturen, die Ende Oktober ins Netz gestellt wurde.

Was war geschehen? Unter den Jazzmusikern hatte sich herumgesprochen, dass es Überlegungen gebe, die Jazzförderung zu streichen. „Es gab keine offizielle Bestätigung, aber es gab Signale. Bei späteren Gesprächen im Abgeordnetenhaus hat sich gezeigt, dass einige Abgeordnete durchaus solche Vorstellungen hatten.“ Die bisherigen Fördergelder sollten in das neu zu gründende Music Board fließen. „Da gab es ganz konkrete Ideen, eine GmbH nach dem Modell des Medienboards einzurichten, in die alle Musikfördergelder gehen sollten. Das war das Geschäftsmodell.“

Das Music Board sollte nach rein musikwirtschaftlichen Kriterien die Popmusik der Stadt stärken. Hinter diesen Überlegungen steht die Berlin Music Commission (BMC), ein Zusammenschluss von Berliner Musikveranstaltern und -verwertern, vornehmlich Labels und Clubs – Musiker selbst sind in der BMC praktisch keine vertreten. Von Senatsseite erhielten die Musiker auf Anfrage keine konkreten Auskünfte zum Konzept des Boards. „Die Agenda, das einzige, auf das wir uns beziehen konnten, waren die Papiere der BMC.“

Von der BMC waren die Musiker allerdings nie gefragt worden, ob sie sich in irgendeiner Form am Board beteiligen wollten. Erst die Kulturverwaltung stellte nach Veröffentlichung der Onlinepetition den Kontakt zur BMC her. Man traf sich schließlich in der Senatsverwaltung mit Vertretern der BMC, ohne Klarheit zu erlangen: „Von der Verwaltung wurde gefragt: Will der Jazz in dieses Board? Wir haben nur gesagt: Wie kann man in etwas reinwollen, von dem uns keiner sagen kann oder will, was es wirklich ist. Wir haben immer wieder nachgefragt: Wie stellt ihr euch das vor? Wie soll das aussehen? Wer vergibt die Gelder?“ Wie sich später herausstellte, gibt es bis heute kein Konzept für das Board. Es soll diesen Sommer erarbeitet werden.

Ärger der Musiker

Für die Musiker war klar, dass sie als Einzelkämpfer kaum Chancen hätten, ihre Interessen zu vertreten. Im Dezember 2011 hatten sie daher zunächst die IG Jazz gegründet; Schick wurde stellvertretender Vorsitzender. Er regte an, alle Musiker der freien Szene zu versammeln, so auch die Neue Musik, die Klangkunst, den experimentellen Pop und die Alte Musik. „Wir haben dann zunächst wichtige Musikerplattformen wie die Initiative Neue Musik e. V. oder die Echtzeitmusik Berlin und Multiplikatoren wie den Club Transmediale oder den Konzertveranstalter Ran Huber von amSTARt reingeholt.“ Seit Ende März sind sie als „Dach/Musik – Freie Musikszene Berlin“ zusammengeschlossen.

Den Ärger und die Entschiedenheit der Musiker kann man sehr einfach mit Zahlen erklären: Die Fördergelder für die freie Szene, die im Vergleich zu den anderen Sparten ohnehin bescheiden sind, sinken kontinuierlich. Laut Senat standen 2010 insgesamt noch 922.000 Euro zur Verfügung, 2011 waren es lediglich 842.000 Euro. Für den Jazz waren davon 2011 gerade mal 147.000 Euro vorgesehen; in diesem Jahr schrumpfte der Betrag trotz der im Koalitionsvertrag angekündigten Stärkung der freien Szenen auf 130.000 Euro. Kein Wunder, dass die Musiker, die jahrzehntelang mit geringer Förderung lebten und ständig zu hören bekamen, es sei kein Geld mehr da, die Ankündigung, dass es jetzt 1 Million Euro für das Music Board geben soll, als Schlag ins Gesicht empfunden haben.

„Es wird 1 Million eingestellt für Netzwerke und Marketing, davon werden irgendwelche Vierfarbbroschüren gedruckt. Aber dem einzelnen Musiker bringt das herzlich wenig. Wir haben schon Tausende solcher Vermarktungsplattformen in Berlin. Wir haben Instrumente, die all das, was jetzt angerissen wird, schon tun. Was hat denn der Musiker davon, wenn er zur Berlin Music Week auf irgendeiner Promoveranstaltung spielt? Der wird dann trotzdem wieder nicht bezahlt.“

„Dach/Musik“ fordert daher den Erhalt und die Verbesserung der bisherigen Förderstrukturen, eine Aufstockung der Mittel, „mindestens aber auf Augenhöhe“ mit dem Music Board. Zudem soll es ein „Haus der Musik“ für die freie Szene an einem zentral gelegenen Ort geben, mit Probenbühnen, die sich zu einem günstigen Preis mieten lassen.

Ob die Forderungen Gehör finden werden, muss man abwarten. Etwas schwer zu begreifen ist es für Schick schon, dass er und seine Mitstreiter es in Berlin so schwer haben, von der Politik beachtet zu werden: „In Tokio wird die Qualität unserer Arbeit wahrgenommen, in Paris und anderen Städten ebenfalls, die ganze Welt schreibt darüber und lädt uns ein. Dann frage ich mich, warum Herr Schmitz bzw. unser „Kultursenator“ das nicht wahrnehmen und nicht anfangen, mit uns konstruktiv zu sprechen.“

www.dach-musik-berlin.de