: Die letzte Rettung
Klimaforschende zeigen, was 3 Grad mehr bedeuten würden – und wie das Horrorszenario doch noch zu verhindern ist
Klaus Wiegandt (Hg.): „3 Grad mehr“. Illustriert von Esther Gonstalla. Oekom Verlag, München 2022, 352 Seiten, 25 Euro
Von Annette Jensen
Auch Menschen, die bereits sehr gut über die Folgen der Erderhitzung informiert sind, werden in diesem Buch Neues finden. Eine ganze Reihe der renommiertesten Forschenden haben daran mitgeschrieben. Sie erklären nicht nur in gut verständlicher Sprache, welche Folgen die Klimakatastrophe schon heute für die verschiedenen Lebensbereiche und Regionen hat und wie die ökologischen Megakrisen zusammenhängen. Unumwunden konfronieren sie die Leserschaft auch damit, dass ohne geeignete Gegenmaßnahmen schon bald ein Plus von 3 Grad zu erwarten ist – und dass das eine existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation bedeutet. „Es fällt mir schwer, das zu schreiben, während ich an meine Kinder denke“, bekennt Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Trotzdem ist das Buch nicht dystopisch, sondern ein überzeugender Versuch, die notwendigen Lösungen zu propagieren. Dabei halten sich die Autor*innen nicht mit technischen Schein-Auswegen wie Elektroautos oder CO2-Verpressung in ehemalige Bergwerke auf. Vielmehr verweisen sie auf eine ganze Reihe umfassender, naturbasierter Lösungen. Deren konsequente Umsetzung könnte das Horrorszenario doch noch verhindern, so das Credo der inspirierenden und überaus informativen Aufsatzsammlung.
Schon heute fallen immer wieder Tausende von Flughunden in Australien tot von den Bäumen – ihr Organismus kollabiert bei Temperaturen über 42 Grad. Für pflanzliche Zellen ist die Hitzegrenze bei 35 bis 46 erreicht. Jedes Grad mehr bedeutet Ernteverluste von 3 bis 7 Prozent bei den wichtigsten Nahrungspflanzen Weizen, Reis, Mais und Soja. Sollte der Temperaturanstieg tatsächlich 3 Grad erreichen, wird der Amazonas-Regenwald nicht mehr zu retten sein und versteppen.
Es gibt im Prinzip nur zwei Stellschrauben, um die menschengemachte Belastung der Atmosphäre mit CO2 zu verringern. „Zum einen kann der Verbrauch an fossilen Energien verringert werden, zum anderen können die Kohlenstoffspeicher aktiviert werden“, fasst Reinhard Mosandl zusammen. Ein riesiges Potenzial liegt in der Wiedervernässung von Mooren und in der Humusanreicherung von landwirtschaftlichen Böden. Der dritte Faktor sind Wälder. In China, Nigeria und Ägypten ist es gelungen, erhebliche Flächen wieder aufzuforsten und damit große Mengen Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu binden, schreibt Waldprofessor Mosandl.
Genau das ist auch der Ansatz, den der ehemalige PIK-Leiter Hans Joachim Schellnhuber in seinem mitreißenden Beitrag „Bauhaus für die Erde“ verfolgt. Ihm zufolge könnte das weitere Wachstum von Megastädten dazu genutzt werden, um aus dem extrem klimaschädlichen Bausektor eine CO2-Senke zu machen. Statt weiter auf den mit viel fossiler Energie hergestellten Beton zu setzen, sollte in großem Stil Holz zum Einsatz kommen, so sein Plädoyer. Werden entsprechend viele Bäume nachgepflanzt, verdoppelt das den positiven Klimaeffekt.
Schellnhuber verweist auf die ETH Zürich, die das zusätzliche Bewaldungspotenzial der Erde ausgerechnet hat. Erste Holzhochhäuser existieren bereits; aus Brandschutzsicht stellt das Baumaterial dank neuer Bearbeitungsmöglichkeiten kein Problem mehr dar. Auch bekommt Holz durch Querverleimung der Bretter eine große Stabilität und Festigkeit.
Am Schluss des Buches wird Herausgeber Klaus Wiegandt politisch. Er verlangt, dass das reichste Prozent die Kosten für die Klimaschäden und den notwendigen Umbau trägt. Außerdem müssten der Bevölkerung die Folgen von Nichtstun drastisch vor Augen geführt werden. Dazu trägt das Buch bei – und deshalb sind ihm viele Leser*innen zu wünschen.
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