LESERINNENBRIEFE
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Heucheleigefahr?

■ betr.: „Zwischen Heuchelei und Anteilnahme“, taz vom 25. 5. 12

Das ist schön, dass ihr mit Pro und Contra die Frage erörtert, ob Journalisten in Aserbaidschan Gefahr laufen zu heucheln, wenn sie über Menschenrechtsverletzungen schreiben. Ich hätte da noch ein paar Anregungen: Laufen Journalisten, die über die Morde der Drogenmafia in Mexiko berichten, Gefahr zu heucheln? Laufen Journalisten, die über Unglücke bei der Ölförderung in der Tiefsee berichten, Gefahr zu heucheln? Das könntet ihr doch auch mal mit Pro und Contra ausführlich erörtern. HERBERT BREGER, Hannover

Unflexibles Melderecht

■ betr.: „Mamawochen, Papawochen“, taz vom 25. 5. 12

Auch die Mutter meiner zwei Kinder ( 8. + 10 Jahre ) und ich praktizieren das beschriebene Modell im wöchentlichen Wechselrhythmus. Es klappt wunderbar. Den Kindern kommt es in unserem Fall sehr entgegen, dass nicht nur ihre Eltern und neuen Partner an einem Strang ziehen, sondern auch, dass beide Wohnsitze nicht weit voneinander entfernt liegen. So können sie auch mal das vergessene Spielzeug oder Schulheft mit dem Fahrrad selbst holen.

Unflexibel und nicht auf das 50:50-Wechselmodell eingestellt ist allerdings das deutsche Melderecht. Seit fast zwei Jahren verlangen wir Eltern von unserem Bezirksamt in Pankow die Berücksichtigung der tatsächlichen Betreuungssituation und damit die Festlegung von zwei Hauptwohnsitzen für unsere Kinder. Ohne Erfolg. Das Amt mauert und fordert die Festlegung laut Gesetz auf einen Hauptwohnsitz, an dem sich die Kinder angeblich „überwiegend“ aufhalten. Da wir Eltern diese, an der Realität vorbeigehende Annahme – auch aus steuerlichen Gründen – nicht treffen wollen, haben unsere Kinder seit nunmehr fast zwei Jahren keinen wirklichen Hauptwohnsitz, zumindest nicht bei ihren Eltern. HASSO SULIAK, Berlin

Der Untergang der Jesiden

■ betr.: „Patriarchat und Penicillin“, taz vom 22. 5. 12

In der Tat ist de jure bei den Jesiden – wohl historisch bedingt – nur eine Eheschließung innerhalb der Gemeinschaft erlaubt. Regelmäßig erfolgt ein Ausschluss aus der Gemeinschaft in Kurdistan. In Deutschland ist es aber bereits jetzt schon den Jesiden de facto freigestellt, sich für eine Bindung mit Nichtjesiden zu entscheiden oder umgekehrt. Wie Dutzend jesidische Fälle in der Bundesrepublik zeigen, kann ein begrenzter Ausschluss aus der Gemeinschaft erfolgen, er muss es aber nicht. Insofern hat sich das moderne Jesidentum in Deutschland jetzt schon entwickelt. In Deutschland geborene oder sozialisierte jesidische Akademiker sind zu mehr als 80 Prozent assimiliert oder areligiös.

Ich teile Ihre Auffassung, dass nicht jedes Brauchtum schützenswert ist, wozu sicher die patriarchalisch bedingten „Ehrenmorde“ in Asien und Afrika gehören. Doch das Verschwinden einer ganzen Gemeinschaft, die Kultur der Vorfahren der Kurden, ist eine Tragödie und daher ein Rückschritt. Meine empirische Studie zeigt, dass das Jesidentum in Deutschland voll integriert ist (über 90 Prozent sind eingebürgert). Trotzdem haben bisherige Versuche der jesidischen Dachverbände, mit anderen monotheistischen Religionen gleichgestellt zu werden, nicht gefruchtet.

Die „lobbylosen Jesiden“ gehören damit auch hier zu den besonders benachteiligten Migrantengruppen und kämpfen ums Überleben. Folglich stellt sich für die Jesiden und ihre mehrheitlich areligiöse Elite die Kardinalfrage, ob eine kleine, vom Aussterben bedrohte Minderheit, deren Religion wesentliche „pazifistische Züge“ aufweist und sich „guten Werken verschrieben“ hat, wenigstens nicht eine Chance zum Überleben verdient hat. HALIL SAVUCU, Celle