Im Dickicht der Gefühle

EXTREME „Bis an die Grenze“ ist hart am Kitsch – und doch packend (ZDF, 20.15 Uhr)

VON SEBASTIAN ERB

Mit so einem Beginn könnte es einer dieser klassischen Familienfilme werden. Der grimmige Opa, herzkrank und leidenschaftlicher Jäger, lädt zur Geburtstagsfeier. Er hatte gerade einen Herzinfarkt, dieses Fest könnte sein letztes sein: Der Schützenverein gibt ein Ehrensalut, die Tochter Eva reist aus Berlin an, mit dem Enkel, der am liebsten vor dem Computer hockt, der Enkelin, die bald von zu Hause auszieht, und dem Schwiegersohn Peter, der der ganzen Sache am liebsten ferngeblieben wäre. Die Ehe ist in der Krise und das Verhältnis zum alten Herren mehr als schwierig. Es gibt da ein dunkles Kapitel in der Vergangenheit.

Doch langweiliger Familienkitsch ist „Bis an die Grenze“ (Regie: Marcus O. Rosenmüller) nicht. Im Gegenteil: Das Drehbuch von Wolf Jakoby erzählt eine spannende Geschichte über Weichenstellungen, die das Leben prägen, und darüber, wie schwierig der Umgang mit der Wahrheit sein kann. Geschickt werden die emotionalen Spannung durch einen zweiten Handlungsstrang mit Elementen eines Actionthrillers verwoben. Die bereits von innen bedrohte Familie wird auch noch von außen durch eine brutale Bande angegriffen. Dabei geht es bis an die Grenze dessen, was ein Mensch aushalten kann. Und wirkt dabei überraschend selten übertrieben.

Die Familie Schiller macht eine Wanderung ins Innere des Bayerischen Waldes. Dort gibt es außer unberührter Natur – sogar Luchse wohnen hier – nicht viel. Auch keinen Handyempfang. Man ahnt schon, dass dies zum Problem werden wird.

Den Anfang des Films bestimmen die Familienreibereien. Der Guide der Familie ist der groß gewachsene Berno (Götz Otto), ein Naturpark-Ranger mit Geländewagen, der genauso gut im Jurassic Park unterwegs sein könnte. Er war Evas Jugendliebe – der Konflikt ist abzusehen. Doch bevor man sich zur Ablenkung kurz die Dinos herbeisehnt, wie sie sich aus dem Unterholz stürzen, geht es auch ohne Riesenechsen um Leben und Tod.

Berno wird ermordet, und dunkle Gestalten in Lederjacken, die in ihre Walkie-Talkies krächzen, jagen die Familie quer durch den Wald. Dann wird sie getrennt. Die Bedränger sind gestresste Menschenschmuggler, die zu allem bereit sind, um ihren Auftrag zu erledigen. Sie sollen afghanische Flüchtlinge nach Deutschland bringen. Was diese Portion politischer Dimension angeht, schrammt der Film mehrfach ganz knapp an der Klischeegrenze vorbei. Dass ihn das nicht beschädigt, liegt an den Schauspielern.

Die Stärke der Ruhe

Hans-Werner Meyer verkörpert glaubhaft Peter, gefangen in einem Netz aus Eifersucht und verschleppter Schuld. Katharina Böhm überzeugt als Eva, die plötzlich nicht mehr Mutter sein darf. Laura Sonntag und Sven Gielnik als deren Kinder schaffen den Spagat zwischen jugendlicher Lockerheit und Anspannung in Ausnahmesituationen.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass Menschen in Extremsituationen ihr wahres Gesicht zeigen. In dem Thriller „Bis an die Grenze“ wird dies eindrücklich nachgezeichnet. Eine ganze Reihe elementarer Fragen drücken sich da plötzlich an die Oberfläche, eine vor allen anderen: Was braucht eine Familie, damit sie nicht auseinanderfällt?

Die Kamera fängt – oft aus subjektiver Sicht – die Gefühlsschwankungen der Protagonisten zwischen lähmender Angst und grenzenlos naiver Hoffnung sehr gut ein. Die allzu spektakulär klingende Musik hingegen nervt. Am stärksten sind nämlich die Szenen, in denen es ganz ruhig ist und nur der Wind pfeift und der Regen peitscht. Geräusche einer wilden Natur. Da hat man für einen Moment ganz deutlich das Gefühl: Das alles könnte auch mir passieren.