Der Mann, den sie Quark nannten

Stammeln für Deutschland: Klaus Hartung und seine „mental map“ im Handgepäck

Wenn einer nicht unfallfrei Deutsch kann, sich aber tüchtig händeringend um Deutschland sorgt, wird er irgendwann Redakteur bei der Zeit. So ist es Gesetz, und so wurde vor langer Zeit auch Klaus Hartung in der Berliner Filiale der Hamburger Wochenzeitung endgelagert.

Fließend stammeln können ist Berufsvoraussetzung im Zeitungsgewerbe, aber die Hartung’sche Tränensackprosa umweht doch etwas Singuläres. Neben anderem erfand Hartung die „politische Hartleibigkeit“ – und versucht seitdem, diese eingebildete Verstopfung mit realer sprachlicher Diarrhöe auszugleichen.

Als Zeit-Redakteur ist Hartung Angestellter des Holtzbrinck-Verlags, zu dem auch der Tagesspiegel gehört. Am 19. Juni fordert Hartung im Tagesspiegel den „Abschied vom Bahnhof Zoo“. Berlin, schreibt er eingangs, sei „dabei, sich aus der Mitte heraus neu zu erfinden“. Spätestens, seitdem Madonna sich einen Cowboyhut aufstülpte und „American Pie“ sang, kommt kaum ein Journalist mehr ohne die Behauptung aus, irgendjemand oder irgendetwas habe sich selbst neu erfunden oder erfinde sich gerade neu.

Kompetent breitet Hartung sein Gähnmaterial aus. Auf mehr als einer halben Zeitungsseite ermahnt er die Berliner in Ost und West, nicht länger ihrer jeweiligen Vergangenheit nachzutrauern, sondern sich der Wirklichkeit im geeinten Berlin zu stellen. Er scheint zu ahnen, dass diese Leitartiklerplatitüde es kaum in den Rang eines Gedankens schaffen wird, also bläht er sie auf. „Hier liegt die wahre Versöhnung zwischen Ost und West: nicht in der Angleichung, sondern im unbelasteten Genuss der Unterschiede. Die Stadtgesellschaft wird sich endlich aus ihrer zyklothymen Stimmungslage zwischen Großsprecherei und Verlustangst emanzipieren und den nötigen Optimismus gewinnen, den Berlin so sehr braucht, um seine historischen Chancen wahrzunehmen. Und schließlich: Es ist endlich an der Zeit, dass der Berliner seine innere Stadtgeographie, seine ‚mental map‘, in Ordnung bringt und akzeptiert, dass weder die Mitte noch Kreuzberg im Osten der Stadt liegen.“

Als Klaus Hartung noch lose Kontakte zur „Bewegung 2. Juni“ unterhielt, bekam er dort den Spitznamen „Quark“ – wenn man seine Lall- und Hängebackenprosa liest, weiß man, warum. „Stadtgesellschaft … emanzipieren … Optimismus gewinnen … historische Chancen … es ist an der Zeit“ – solches Zeug schreibt sich vollautomatisch von ganz allein. Hartungs Spezialität aber ist es, den Phrasensalat im Predigertonfall aufzutischen. So eiert er mit einer „mental map“ durch Berlin und ruft emphatisch: „Kreuzberg liegt nicht in Ostberlin!“ Was wären wir, wenn Klaus Hartung uns das nicht sagte? Verirrt und zyklothym, also „von extravertierter, geselliger, dabei aber Stimmungsschwankungen unterworfener Wesensart“, wie der Fremdwörterduden es definiert?

Ich liebe es, neue Wörter zu finden – neulich entdeckte ich durch Zufall das schöne Adjektiv furibund, eine magisch klingende Alternative zu seinen Bedeutungsgeschwistern rasend und tobsüchtig. Aber „mental map“ und zyklothym möchte ich nicht geschenkt haben. Klaus Hartung möge seine Roadmap-Angeberei und seine ranzige Berlintümelei für sich behalten. Beziehungsweise sie sich selbst um die Mentalmappe hauen – und sich auf diese schöne Weise aus der Mitte heraus neu erfinden.

WIGLAF DROSTE