Unwirklicher Erfolg

AMERICAN PIE Die nicht nur von der Sonne verwöhnten Los Angelinos begeistern sich seit Neuem für Eishockey. Kein Wunder: Die LA Kings stehen im Finale um den Stanley Cup

VON THOMAS WINKLER

Selbst die National Hockey League hat noch Probleme mit dem überraschenden Erfolg der Los Angeles Kings. Im Online-Shop der besten Eishockey-Liga der Welt war noch bis vor kurzem das Trikot eines gewissen Alex Kopitar zu erwerben, angeblich Spieler in Los Angeles. Tatsächlich heißt der Center aber Anže Kopitar. Der Fehler ist nun, gerade noch rechtzeitig vor dem ersten Finalspiel, zu dem die Kings heute Nacht bei den New Jersey Devils antreten müssen, korrigiert worden.

Kopitar ist einer von nur zwei Slowenen, die in der NHL engagiert sind. Der 24-Jährige hat durch Internet-Recherchen festgestellt, dass die Finalteilnahme der Kings in seiner Heimat große Begeisterung ausgelöst hat. Aber nicht nur dort: Auch im sonnigen Südkalifornien lässt man sich neuerdings herab, den sensationellen Playoff-Lauf der heimischen Eishockey-Cracks interessiert zu begleiten. Spätestens seit sich innerhalb von nur 24 Stunden sowohl die geliebten Glamour-Basketballer von den Lakers als auch die eher ungeliebten Clippers aus den NBA-Playoffs verabschiedet haben, gehört die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der verwöhnten Los Angelinos nun den Kings. Weil das aber eine relativ neue Erfahrung ist, sah sich die örtliche Tageszeitung Daily News gezwungen, einen Ratgeber zum korrekten Konsum von Eishockeyübertragungen zu veröffentlichen: „Keine Angst, wenn Sie eine Spielszene verpassen. In der Wiederholung wird sie womöglich sogar noch besser zu sehen sein.“

Ja, die Kalifornier müssen sich erst wieder an die schnellste Mannschaftssportart der Welt gewöhnen. Kein Wunder: In Los Angeles, wo man vor allem Sieger liebt, warten die Kings seit ihrer Gründung im Jahre 1966 auf den Gewinn des Stanley Cups. Am nächsten kam man dem NHL-Titel, als man in den frühen Neunzigerjahren den legendären Wayne Gretzky verpflichtete, um Eishockey im Sonnenstaat zu etablieren. Die um „The Great One“ und weitere Stars wie Jari Kurri und Luc Robitaille gebaute Mannschaft erreichte 1993 das Finale, musste sich aber den Montreal Canadiens geschlagen geben. Zwei Jahre später meldete die Franchise Bankrott an.

Die Ruinen des Klubs erwarb zwar die Anschutz Entertainment Group, der auch die Berliner Eisbären gehören. Aber von der Pleite konnten sich die Kings nie wirklich erholen, meist krebsten sie in der sportlichen Bedeutungslosigkeit herum. Auch der aktuelle Erfolg kam wie aus dem Nichts: Los Angeles qualifizierte sich eben so als achtes und letztes Team in der Western Conference für die Playoffs. Aber seitdem spielt die junge Mannschaft ohne Stars überragend und spazierte gegen ausnahmslos stärker eingeschätzte Gegner nahezu mühelos durch die bisherigen drei Playoff-Runden. „Wenn uns jemand gesagt hätte, wir würden so schnell das Finale erreichen“, gab Stürmer Justin Williams zu, „wir hätten ihn für verrückt erklärt.“ Nur zwei Partien gingen bei zwölf Siegen verloren und auf fremdem Eis ist man sogar noch ungeschlagen: Acht Playoff-Auswärtssiege hintereinander bedeuten NHL-Rekord.

„Unwirklich“ findet nicht nur Wayne Gretzky, was seine Nachfolger im Kings-Trikot bisher geleistet haben. „Es macht Spaß zuzusehen, es ist spektakulär“, ließ er wissen. Der wohl beste Eishockeyspieler aller Zeiten schätzt die aktuelle Mannschaft stärker ein als die Version, die er 1993 ins Finale führte: „Sie sind viel besser, als wir es waren, sie haben viel bessere Chancen, den Titel zu gewinnen.“

Eine Meinung, die mittlerweile auch die meisten Experten teilen. Der Final-Gegner, die New Jersey Devils, hat mit Martin Brodeur zwar eine Legende im Tor stehen, die mittlerweile aber 40 Jahre alt ist und doch schon einige Schwächen zeigte. Allerdings: Nun, da sie sich erstmals in den Playoffs in der Favoritenstellung wiederfinden, müssen die Kings erst noch beweisen, ob sie diese veränderte Ausgangslage verkraften werden. Aber falls am Ende tatsächlich der erste Titel steht, dürfte man nicht nur in Slowenien wissen, wie Anže Kopitar geschrieben wird.