berliner szenen
: Protest gegen Protest

Die Neue Nationalgalerie ist im Gespräch. Ihr Direktor lädt zu Begegnungen ein, die über das Betrachten von Kunst hinausgehen. Nachdenken über den Krieg, das war eine Aktion Anfang März, zu der Menschen kamen, die das Haus vorher nie betreten hatten.

Jetzt folge ich dem Aufruf zu einem Sonntagnachmittag, der Solidarität mit dem Protest der Frauen im Iran ausdrücken will. Ein Banner zeigt das poetische Selbstporträt der Künstlerin Shirin Neshat: „Unveiling“, Entschleiern. Eine Schriftstellerin, eine Tänzerin und eine Sängerin sind bereits aufgetreten, als mir ein kleines Plakat auffällt, das den Direktor der Nationalgalerie kritisiert: „Mr. Biesenbaum, don’t capitalize the struggle of Iranian women“. Sinngemäß: Er solle nicht den Kampf der Iranerinnen für Museums-PR instrumentalisieren.

Mich stören diese Misstöne, aber weil mich das Plakat nicht loslässt, spreche ich die junge Frau, die es hochhält, an. Ihr bisher verschlossenes Gesicht wird ganz lebendig. Sie fühle sich von Shirin Neshat nicht vertreten, auch ihre Freundinnen nicht. Die Arbeit ist 30 Jahre alt, die jungen iranischen Künstlerinnen seien heute viel kämpferischer. Zumindest würde sie gerne über die Auswahl diskutieren, die ein deutscher Mann getroffen hat. Sie argumentiert sehr gewinnend und will wissen, was ich davon halte. Mein Einwand: wenn die Nationalgalerie nicht eingeladen hätte, wenn sie nicht das meterhohe Banner einer Künstlerin entrollt hätte, die mir etwas sagt, wäre ich gar nicht gekommen. Dann hätte ich die Reden nicht gehört, auch nicht, was sie, die Plakatträgerin, mir über junge Künstlerinnen im Iran erzählt. Das leuchtet ihr ein. Ich gehe mit dem Gefühl eines geglückten Austauschs: überraschend, informativ, nachhallend. Dem geschmähten Direktor ist etwas gelungen.

Claudia Ingenhoven