Traurige Bilanz am Tag der Arbeit

GEWERKSCHAFTEN Arbeitern in den USA geht es schlechter als in den vergangenen 30 Jahren. Obama möchte ihnen mehr Rechte geben, stößt dabei aber auf heftigen Widerstand

Alle 23 Minuten wird jemand wegen gewerkschaftlichen Engagements gefeuert

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Für US-ArbeiterInnen ist der 127. Tag der Arbeit, der sogenannte Labor Day, der am heutigen Montag landesweit gefeiert wird, wahrlich kein Freudentag. Beim geplanten Gewerkschaftspicknick in Ohio, bei dem US-Präsident Obama eine Rede über den Arbeitsmarkt halten soll, wird nicht zu verschweigen sein, dass die Rezession laut offiziellen Angaben bis Ende Juli 6,7 Millionen Jobs vernichtet hat. Trotz Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung wurden im August weitere 216.000 Arbeitsstellen gestrichen. Obamas großes Reformversprechen, nämlich die Verabschiedung eines neuen US-Gewerkschaftsgesetzes, rückt zudem in immer größere Ferne.

Ein vergangene Woche vorgestellter Bericht verschiedener US-Stiftungen kommt zu dem Ergebnis, dass es gegenwärtig schlechter um die US-amerikanischen ArbeiterInnenrechte bestellt ist, als in den drei Jahrzehnten zuvor. So sollen vor allem Niedriglohnempfänger von den Arbeitgebern regelmäßig um ihre Überstundenbezahlung betrogen werden. Rund ein Drittel erhält nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 7,25 Dollar die Stunde. 68 Prozent der in Los Angeles, New York und Chicago interviewten rund 4.400 ArbeiterInnen gaben an, dass sie in der vergangenen Woche weniger ausbezahlt bekamen, als ihnen zustehe. Die Gewerkschaften weisen darauf hin, dass dies Ergebnis einer systematischen Aushöhlung der Arbeiterrechte unter der Amtszeit von George W. Bush sei.

Kaum besser ist es um die Organisationsfreiheit in den Betrieben bestellt. Laut jüngsten Studien der gewerkschaftsnahen Organisation American Rights at Work wird alle 23 Minuten jemand wegen gewerkschaftlichen Engagements gefeuert. Dreißig Prozent der Arbeitgeber kündigen Anführern einer Gewerkschaftsbewegung, und neun von zehn Bossen zwingen ihre Beschäftigten zu unmissverständlichen Vieraugengesprächen über Gewerkschaften, sollte sich ein Betrieb organisieren wollen.

US-Präsident Barack Obama hatte bei Amtsantritt angekündigt, die soziale Lage der Beschäftigen zu stärken und Betriebe wieder für Gewerkschaften zu öffnen. Er unterstützt einen im April im Kongress wieder eingeführten Gesetzesvorschlag, den Employee Free Choice Act (EFCA), der das gewerkschaftliche Organisationsrecht der Beschäftigten gewährleisten soll. EFCA hatte es bereits im Jahr 2007 durch das Abgeordnetenhaus geschafft, war aber an wenigen Stimmen im Senat gescheitert.

Zwar haben die Demokraten im US-Kongress nun in beiden Kammern die Mehrheit, doch sieht es für EFCA nicht gut aus. Eine Reihe von konservativen Demokraten denkt nicht daran, Obama zu unterstützen. Der republikanische Minderheitenführer im Senat, Mitch McConell, erklärte Ende August, kein Republikaner werde je dafür stimmen, dass US-Arbeiter einer Gewerkschaft einfacher beitreten könnten. US-Arbeiter wollten vielmehr gar keine Gewerkschaften, da „es in diesem Land sehr aufgeklärte Manager gibt“.

Eine mächtige Allianz der Unternehmerlobby, darunter die US-Handelskammer, kündigte an, nichts unversucht zu lassen, EFCA erneut zu Fall zu bringen. Arbeitgeber bekämpfen die geplante Neuerung deshalb so vehement, weil eine Reform zunächst erhebliche Mehrkosten bedeutet. Weil es in den USA keine Tarifverträge mit branchenweiter Gültigkeit gibt, sondern jeder Betrieb einzeln verhandelt, erleiden gewerkschaftlich organisierte Unternehmen gegenüber ihren nicht organisierten Wettbewerbern einen finanziellen Nachteil. Laut unabhängigen Studien verdienen gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte durchschnittlich 27 Prozent mehr Lohn und sind doppelt so häufig krankenversichert.

In Folge der nachteiligen gesetzlichen Auflagen zur gewerkschaftlichen Organisation eines Betriebs schwindet die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder stetig. In den USA sind gerade mal 12,4 Prozent der Beschäftigten (rund 16 Millionen) gewerkschaftlich organisiert, im Vergleich zu 20 Prozent im Jahr 1983. Laut Umfragen der Gewerkschaften würden 60 Millionen Beschäftigte einer Gewerkschaft beitreten – wenn sie nur könnten.

Das Obama-Team meint es ernst mit dem Versprechen, die Arbeiterrechte zu stärken. Erst wenn Belegschaften landesweit die Chance auf gewerkschaftliche Vertretung erhalten, gleiche sich der gegenwärtige Wettbewerbsnachteil von „fairen“ Betrieben aus, so das Kalkül. EFCA, über das der Kongress im Oktober abstimmen will, ist neben der Reform des Gesundheitssystems eines der wichtigsten und heißest umkämpften Vorhaben der Obama-Regierung.